Es ist nicht alles schlecht beim globalen Klimaschutz: Fünf Entwicklungen, die Mut machen
Von grünen Energiequellen bis zum Rückgang der Abholzung tropischer Wälder – einige Neuigkeiten vom Kampf gegen den Klimawandel sind durchaus positiv.
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Immer mehr Gebäude nutzen die Solarenergie auf dem Dach. Bild: Karin Hofer / NZZ
Von grünen Energiequellen bis zum Rückgang der Abholzung tropischer Wälder – einige Neuigkeiten vom Kampf gegen den Klimawandel sind durchaus positiv.
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7 Min. • • Kalina Oroschakoff, Sven Titz, «Neue Zürcher Zeitung»
In den vergangenen Wochen sind – im Vorfeld der Weltklimakonferenz – etliche Berichte zum Stand des globalen Klimaschutzes erschienen. Dabei jagt ein Rekord den anderen. Vergangene Woche wurde bekannt: Auch in diesem Jahr wird wohl ein neuer Temperaturrekord seit Messbeginn aufgestellt. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erreicht einen neuen Höchstwert, und die Treibhausgasemissionen steigen weiter.
Doch längst nicht alle Neuigkeiten sind düster. Positive Nachrichten werden von Medien allerdings oft vernachlässigt.
Fünf Entwicklungen im Klimaschutz können durchaus Hoffnung wecken, und die stellen wir hier vor:
Die Solarenergie ist auf dem besten Weg, in der kommenden Dekade zur weltweit grössten Stromquelle zu werden. Das zeigen die jüngsten Daten der Internationalen Energieagentur (IEA), die Ende Oktober veröffentlicht wurden und in einer Analyse von der britischen Website «Carbon Brief» ausgewertet wurden.
So soll sich die Strommenge, die durch Sonnenenergie produziert wird, bis 2030 gegenüber 2023 vervierfachen und bis 2050 mehr als verneunfachen. Das, so «Carbon Brief», würde bedeuten, dass der Solarstrom bis zum Jahr 2033 die Kernkraft, die Windenergie, die Wasserkraft, Gas und – für die globale Energiewende besonders wichtig – auch Kohle überholt.
Das Fortschreiten der Solarenergie hat sich in den vergangenen Jahren beschleunigt. Heute ist die weltweite Kapazität zur Gewinnung von Solarstrom schon 40 Mal so gross wie im Jahr 2010. Im Vergleich: Die Kapazität für Windstrom wuchs in diesem Zeitraum um das Sechsfache. Allein in den letzten fünf Jahren vervierfachte sich der jährliche Ausbau der Kapazität von Solaranlagen auf 425 GW.
Laut der Internationalen Energieagentur könnte sogar schon in den kommenden Jahren so viel Solarenergie produziert werden, wie es nötig wäre, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen. Ob das gelingt, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab. Vor allem, so die IEA, müssten verstärkt Investitionen in Entwicklungsländer fliessen und Lieferketten widerstandsfähiger und vielfältiger gemacht werden. Noch sind die Lieferketten stark auf China konzentriert.
Fossile Brennstoffe sind auf dem Rückzug
Nicht nur die Solarenergie ist auf einem Hoch. «Fast überall auf der Welt ist es billiger, Onshore-Wind- und Solarenergie-Projekte zu realisieren als neue fossile Kraftwerke zu bauen», befand die Internationale Energieagentur in ihrem Jahresbericht. Die wirtschaftlichen Argumente für die beiden Energiequellen überzeugten auch dann, wenn man die notwendigen Investitionen in neue Infrastruktur und neue Speichermöglichkeiten einbeziehe, um die Schwankungen bei der Erzeugung von Wind- und Solarenergie auszugleichen.
Was schon heute feststeht: Der Ausbau sauberer Energiequellen läuft schneller denn je. Mehr als 560 Gigawatt an Kapazität zur Stromgewinnung aus erneuerbaren Energiequellen wurde letztes Jahr hinzugefügt. Mithilfe der steigenden Nutzung von Photovoltaik und Windenergie werden saubere Energiequellen, zu denen auch die Atomenergie zählt, ab Mitte der 2030er Jahre insgesamt zur grössten Energiequelle (und nicht nur Stromquelle) – und bedrängen somit zunehmend die Vormachtstellung der fossilen Brennstoffe.
Gleichzeitig sind schon heute die Investitionsströme in saubere Energieprojekte mit 2 Billionen Dollar pro Jahr fast doppelt so hoch wie diejenigen für Öl-, Gas- und Kohleprojekte. Dank dieser Dynamik hält die IEA weiterhin daran fest, dass die Nachfrage für fossile Brennstoffe bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen wird. Es brauche somit keine neuen Mengen an Erdöl, Erdgas und Kohle, damit die Wirtschaft weltweit weiter wachsen könne, so die Agentur.
Das würde einen Durchbruch markieren. Denn trotz den jüngsten Höhenflügen der erneuerbaren Energien wurden 2023 immer noch zwei Drittel des Anstiegs der weltweiten Energienachfrage durch fossile Brennstoffe gedeckt – und energiebedingte CO2-Emissionen auf ein weiteres Rekordhoch getrieben.
Die Aussichten sind jedenfalls ermutigend. Gleichzeitig maskieren sie eine für die Energiewende problematische Entwicklung. Denn Anlagen für erneuerbare Energiequellen wurden vor allem in Europa, in den USA und China ausgebaut. Im Rest der Welt ist die Bilanz enttäuschend, in vielen Teilen wurden so gut wie keine Projekte mit erneuerbaren Energien umgesetzt.
China ist eine Macht hinsichtlich der erneuerbaren Energien – und das ist gut so
China wird von vielen in Europa gerne zum klimapolitischen Bösewicht hochstilisiert. Es gibt dafür einige gute Gründe: Das riesige Schwellenland ist nicht nur der weltgrösste Verursacher von Treibhausgasemissionen, sondern auch der weltgrösste Kohleproduzent. Gleichzeitig verbrennt kein Land mehr Kohle, den schmutzigsten der fossilen Brennstoffe.
Was dabei aber oft ausser acht gelassen wird: China ist gleichzeitig die Supermacht der erneuerbaren Energiequellen. Das stellt Europa zwar vor grosse industrie- und geopolitische Herausforderungen, für das Klima und die Bezahlbarkeit grüner Technologien sind die Entwicklungen der vergangenen Jahre aber erfreuliche Nachrichten.
Die Zahlen sprechen für sich: Mit 60 Prozent entfiel mehr als die Hälfte der hinzugewonnenen Kapazitäten erneuerbarer Energieträger, die 2023 weltweit hinzugefügt wurden, auf China. Mehr noch: China ist auf dem besten Weg, bis Anfang der 2030er Jahre genügend Solarstrom zu generieren, um den gesamten Bedarf der Vereinigten Staaten zu übertreffen. Heute machen Elektroautos schon rund die Hälfte aller neuen Autoverkäufe im Land aus. China setzt zunehmend auf Strom, um seine Wirtschaft anzutreiben – und das hat grosse Auswirkungen auf das Weltklima.
Fatih Birol, der Geschäftsführer der IEA, sagt, die Welt stehe vor dem Zeitalter des Stroms – und das vor allem dank China. Denn egal, «ob es um Investitionen, die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen, den Stromverbrauch, den Einsatz erneuerbarer Energien, den Markt für Elektroautos oder die Herstellung sauberer Technologien geht – wir leben heute in einer Welt, in der fast jede Energie-Story im Wesentlichen eine China-Story ist», so Birol.
CO2-Emissionen aus der Rodung von Wäldern gehen zurück
Nicht nur bei der Energiegewinnung gibt es Fortschritte, sondern auch bei anderen Quellen von Treibhausgasen – etwa durch Abholzung. Zwar werden nach wie vor grosse Gebiete mit natürlicher Vegetation in Äcker oder Weiden umgewandelt, aber das Problem der Entwaldung ist in den vergangenen Jahren kleiner geworden. Vor allem in tropischen Gebieten wird inzwischen weniger Wald abgeholzt als früher.
Das zeigt sich zum Beispiel an Beobachtungsdaten aus den Ländern Brasilien, Indonesien und Kongo-Kinshasa – dort gibt es besonders grosse Flächen mit tropischem Regenwald, und in der Vergangenheit wurde dort auch besonders viel gerodet.
Der Trend muss allerdings weitergehen. Im vergangenen Jahrzehnt setzte die weltweite Rodung von Wäldern immer noch rund 3,7 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr frei. Das ist rund ein Zehntel der weltweit mit der Energiegewinnung verknüpften Emissionen.
«Die hohen Emissionen verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Entwaldung komplett zu stoppen, um Emissionen zu reduzieren», sagt Julia Pongratz, eine Geografin von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie wirkt an dem internationalen Global Carbon Project mit, aus welchem die Daten zur Entwaldung stammen.
Die «Dekarbonisierung» weitet sich aus
Damit Klimaschutz von der Bevölkerung akzeptiert wird, hat es sich als wesentlich erwiesen, dass die Wirtschaft weiterhin wachsen kann. Andernfalls gibt es Proteste – und am Ende einen Politikwechsel.
Der Schlüssel für die Lösung des Problems trägt den Namen «Dekarbonisierung»: So bezeichnet man es, wenn die Treibhausgasemissionen, die pro Wirtschaftsleistung anfallen, zurückgehen. Dies kann ein Land erreichen, indem es von fossilen Energiequellen auf solche wechselt, die wenig CO2 emittieren, also auf Sonne, Wind oder Kernenergie zum Beispiel.
In 22 Ländern hat die Dekarbonisierung im vergangenen Jahrzehnt – also von 2014 bis 2023 – bereits ausgezeichnet funktioniert: Dort sanken die Emissionen, während die Wirtschaft wuchs, wie die Mitarbeiter des Global Carbon Project berichten.
Die meisten Länder mit erfolgreicher Dekarbonisierung liegen in Europa; auch die Schweiz und Deutschland zählen dazu. Zusammen verursachen diese Länder 23 Prozent der weltweiten fossilen CO2-Emissionen. Im Jahrzehnt davor hatten erst 18 Länder eine erfolgreiche Dekarbonisierung bei wachsender Wirtschaft gemeldet.
In den meisten Ländern stiegen die CO2-Emissionen allerdings, darunter naturgemäss viele, die nicht Mitglied der OECD sind, welche von reichen Industrieländern dominiert wird. Doch auch in dieser Gruppe gibt es einen Trend zur Besserung: Die fossilen CO2-Emissionen von Nicht-OECD-Mitgliedern nahmen im vergangenen Jahrzehnt nur um 1,8 Prozent pro Jahr zu – in der vorangegangenen Dekade waren es noch 4,9 Prozent gewesen. Auch dies ist eine Entwicklung, die Hoffnung machen kann.
Kalina Oroschakoff, Sven Titz, «Neue Zürcher Zeitung» (14.11.2024)
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