Gerade Unternehmen, die mehr Verantwortung im Sinne der Nachhaltigkeit übernehmen wollen, wissen oft nicht, wie sie das tun können. So wandelte sich die Brisanz rund um Nachhaltigkeit zu den häufigsten Fragen der Hilfesuchenden. «Die Klima- und Nachhaltigkeitsberatung ist das am schnellsten wachsende Thema in allen Geschäftsbereichen von BCG. Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage weiter zunehmen wird, weil der Klimanotstand die Unternehmensstrategien weiter beeinflusst», ergänzt Charlotte Degot. Sie ist Managing Director & Partner bei BCG GAMMA, einer Tochterfirma von BCG, die sich mit Data Science und Advanced Analytics beschäftigt. Ausserdem leitet sie weltweit das Technologieprojekt CO2.AI zur Messung von Emissionen.
Messmethode revolutioniert
780 Klima- und Nachhaltigkeitsprojekte mit mehr als 450 Organisationen – 2021 beteiligte sich BCG an einer erheblichen Anzahl Aktivitäten, dabei kam die ganzheitliche, KI-gestützte Technologie CO2.AI zum Einsatz. «Das Tool revolutioniert das Emissionsmanagement», ist Degot überzeugt. «Damit können nicht nur direkte Emissionen wie etwa von Produktionsanlagen gemessen werden, sondern auch indirekte aus dem täglichen Geschäftsverkehr. Diese schliessen Rohstoffe, eingekaufte Elektrizität, geleaste Anlagen, das Pendeln der Mitarbeitenden, Geschäftsreisen oder etwa den Transport mit ein.» Durch die umfassende und genaue Quantifizierung kann die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens analysiert werden.
Doch was genau versteht man alles unter Emissionen? «Neben CO2 zählen auch der Wasserverbrauch, der verursachte Abfall und die Luftverschmutzung», so Degot. Mit dem Messen können detaillierte Auswertungen gemacht werden. Das erlaube, konkrete Ziele zur Reduzierung des ökologischen Fussabdrucks zu formulieren. Umsetzbare Empfehlungen seien aufgrund der Transparenz der Daten möglich. Und wie genau wird das Messen machbar? Die Expertin dazu: «Als Basis dienen die Zusammenstellung von Nachhaltigkeitsdatenbanken, Algorithmen des maschinellen Lernens und einer skalierbaren Web-App. Bisher haben 9 Prozent der befragten Unternehmen ihre Emissionen umfassend gemessen. Von diesen konnten nur 1 Prozent entsprechend ihrer Zielvorgaben reduzieren. Hinzu kommt, dass die gemessenen Werte oft ungenau sind und eine Fehlermarge von 30 bis 60 Prozent aufweisen», erklärt Degot. Das müsse sich dringend ändern, um die Klimaziele rechtzeitig zu erreichen. Schliesslich wollen Politik und Gesellschaft bis 2050 auf Netto-Null sein, was bedeutet, dass bis 2030 CO2-Emissionen auf die Hälfte heruntergebrochen werden müssen.
«Die Offenlegung von Emissionen wird zunehmend zur Geschäftsnorm.»
Dieses ambitionierte Vorhaben kann nur mit kräftiger Mitarbeit der Wirtschaft gelingen. Hier setzt CO2.AI an. «Wir arbeiten mit Unternehmen und Regierungen zusammen, um sie dabei zu unterstützen, ihre Verpflichtungen in die Tat umzusetzen. Unsere Arbeit mit unseren Kund:innen umfasst alle Aspekte der Nachhaltigkeitstransformation, einschliesslich der Festlegung und Entwicklung von Netto-Null-Strategien, der Dekarbonisierung des Betriebs und des Wachstums neuer nachhaltiger Unternehmen. Nur so können wir eine nachhaltigere, kohlenstoffärmere und widerstandsfähigere Welt schaffen.»
Wie das konkret gehen kann, zeigt sich anhand des Beispiels eines weltweit tätigen Getränkeherstellers. Dieser wollte seine Emissionen berechnen, also schätzte er, welche Materialien hierfür bei der Abfüllung verwendet wurden. Dabei liess er aber wichtige Faktoren ausser Acht. «Mit CO2.AI ist das Unternehmen nun in der Lage, die Gesamtemissionen auf Produktebene vollständig zu analysieren, einschliesslich der Auswirkungen der Glasart, des Recyclinganteils, des Herkunftslandes des Lieferanten, der Transportart und vieler anderer Faktoren», ergänzt Degot. Sogar Simulationen können so durchgeführt werden. «Das Tool ermöglicht, Entscheidungen über den gesamten Produktzyklus und die Organisation zu treffen.» Ziel sei es, «die Umweltauswirkungen zu minimieren».
In einem ersten Schritt erstellte man hierfür eine Roadmap und priorisierte. Die zentrale Frage dabei: «Welche Initiativen zur Reduzierung machen einen besonders grossen Unterschied?» Als man die aktuelle Basisrechnung unter die Lupe nahm, merkten sie, dass diese um 50 Prozent daneben lag. Genau hier falle Ungenauigkeit ins Gewicht. Gleichzeitig konnten erst durch die Korrektur des Status quo die Ziele festgelegt werden.
Auch für KMU eine Option
«Im Schnitt können Unternehmen mit CO2.AI ihre CO2-Emissionen um 30 bis 40 Prozent senken. Ausserdem sparen viele signifikant Kosten ein. Als Exempel ein Stahlhersteller, der durch die Prozessoptimierung eine Kostensenkung von einem Prozent bei einer direkten Reduzierung der CO2-Emissionen um zehn Prozent verzeichnete», führt Degot aus. Gerade bei steigenden Rohstoffpreisen lohnt sich die Berechnung. Auch, weil zukünftig wohl noch mehr Steuern und Sonderabgaben auf umweltschädliche Produktionsarten anfallen werden. Das wird nicht nur Grossunternehmen betreffen oder einzelne Branchen. «Bisher wurde CO2.AI unter anderem in der Verpackungsindustrie, der Pharmabranche, dem Einzelhandel und der Güterindustrie eingesetzt. Geeignet wäre es aber für alle Arten von Unternehmen, denn: Strategische und operative Entscheidungsfindung passiert überall.» Vom Produktdesign über die Beschaffung bis hin zum Vertrieb – Nachhaltigkeit wird zum festen Bestandteil der Prozesse.
Erfolgreich und langfristig die Emissionen zu reduzieren ist also möglich. Voraussetzung hierbei ist, dass Unternehmen ihre gesamten Lieferketten in alle Umweltfragen einbeziehen, und dies beschleunigt und umfassend. Genau deshalb ist Joachim Stephan so von CO2.AI überzeugt: «Künstliche Intelligenz kann Unternehmen dabei helfen, automatisch Daten zu erfassen, einen CO2-Fussabdruck zu berechnen, Simulationen durchzuführen oder ambitionierte – aber realistische – Reduktionsziele festzulegen.» Die Expertin stimmt zu, denn: «Die Offenlegung von Emissionen wird zunehmend zur Geschäftsnorm.» Ein wichtiger Schritt in eine emissionsarme Zukunft.