Herr Solero, die BMW Group betreibt einen hohen Aufwand, um als Unternehmen möglichst nachhaltig zu agieren. Was kann die Schweizer Tochter dazu beitragen?
Sergio Solero: Nachhaltigkeit ist ein sehr weites Feld. Hier lokal beginnt es bei gemeinsamen Aktivitäten mit unseren Mitarbeitenden in der Natur, bei denen wir zusammen einen Tag lang den Bürostuhl gegen Spitzhacke und Schaufel tauschen und einen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten. Denn Nachhaltigkeit beginnt bei uns selbst, in jedem Haushalt, und mit solchen Aktionen wollen wir diese Werte verinnerlichen und zusammen im Team leben und erleben. Bei uns in Dielsdorf bieten wir zudem eine moderne Ladeinfrastruktur an, um unseren Mitarbeitenden und auch Besuchern einen bequemen Zugang zur Elektromobilität zu gewähren. Ausserdem bieten wir für Dienstfahrzeuge immer auch eine rein elektrische Option an.
Und abgesehen von den Mitarbeitern?
Wir ermutigen unsere Händler, das Gleiche zu tun, Ladepunkte zu installieren und diese, wenn möglich, öffentlich zugänglich zu machen. Ausserdem legen wir beispielsweise grossen Wert darauf, dass bei der Errichtung eines neuen Händlergebäudes dieses mit einem möglichst kleinen ökologischen Fussabdruck gebaut wird, mit nachhaltigen Materialien und mit grossen Solaranlagen auf dem Dach. Und nicht zuletzt wollen wir unsere Kunden an die Elektromobilität heranführen – nicht nur, in dem wir das Modellangebot laufend ausbauen, sondern auch durch verschiedene Aktivitäten und Angebote. Ein Beispiel: Wenn Sie bei uns ein Elektroauto kaufen, offerieren wir Ihnen ein Jahr lang unlimitiertes kostenloses Laden an Ionity-Schnellladestationen, die ausschliesslich erneuerbare Energien verwenden, in ganz Europa.
Aktuell sind sieben BMW-Baureihen rein elektrisch oder zumindest auch mit Elektroantrieb erhältlich. Wie verkaufen diese sich in der Schweiz?
Wir bieten eine grosse Modellvielfalt, von der Oberklasselimousine i7 bis zum Einstiegsmodell iX1. In einem um insgesamt 10.9 Prozent rückläufigen BEV-Markt per November in der Schweiz verzeichnen wir eine Steigerung von 20 Prozent bei der Marke BMW. Insgesamt waren 14 Prozent der in diesem Jahr verkauften BMW-Modelle mit reinem Elektroantrieb ausgestattet. Bei MINI ist die Steigerung noch grösser, da liegt der Elektroanteil im laufenden Jahr über 20 Prozent. Wenn wir auf die eingegangenen Bestellungen schauen, gehen wir sogar in Richtung 50 Prozent.
Im Schweizer Neuwagenmarkt betrug der Elektroanteil im vergangenen Jahr rund 21 Prozent. Im laufenden Jahr ist dieser um fast elf Prozent zurückgegangen. Woran liegt diese Zurückhaltung der Kunden?
Das ist nicht nur in der Schweiz, sondern in mehreren europäischen Märkten so. Bisher haben die sogenannten Early Adopters ein Elektroauto gekauft – Menschen, die gerne eine neue Technologie ausprobieren wollen. Jetzt sind die Käufer dran, für die das Auto ein Alltagsgegenstand ist, den sie nutzen, weil sie müssen. Für die sind einige Punkte entscheidend, die ich hier in der Schweiz nicht so gut entwickelt finde. An erster Stelle die Ladeinfrastruktur: Wenn man zu Hause oder am Arbeitsplatz keine Lademöglichkeit hat, überlegt man sich die Anschaffung eines Elektroautos zweimal. Mein Eindruck nach acht Monaten in der Schweiz ist: Das öffentliche Ladenetzt ist auf Autobahnen sehr gut, doch in der Innenstadt, bei Firmen oder bei den vielen Mietern zu Hause ist sie noch nicht so gut ausgebaut wie in nordeuropäischen Ländern, wo der Elektroanteil sehr viel höher ist. Dort wurde massiv in die Infrastruktur investiert, von den Regierungen, aber auch von Unternehmen wie etwa Supermarktketten, bei denen man nun während des Einkaufs das Auto laden kann. Das wird entscheidend sein, besonders in einem Land mit einem so hohen Mieteranteil wie in der Schweiz.
Sie sprechen sich also für eine staatliche Förderung der E-Mobilität aus?
Absolut. All diese wichtigen Punkte zu ändern, wäre meiner Meinung nach nicht sehr kompliziert, aber das können die Autohersteller nicht allein stemmen. Es braucht dazu auch Hilfe vom Staat. Dabei geht es nicht nur um Zuschüsse beim Autokauf, sondern auch um Anreize wie etwa kostenloses Parkieren in der Innenstadt oder die Förderung der privaten Ladeinfrastruktur. Nur so wird es funktionieren.
Ist das etwas, wofür Sie sich einsetzen wollen? Sie sind ja kürzlich in den Vorstand des Importeurverbands Auto Schweiz gewählt worden…
Unbedingt, ja. Wir müssen mehr tun, um der Regierung die Wichtigkeit der erwähnten Punkte zu erklären, die nötig sind, um die Elektromobilität auf die nächste Stufe zu heben. Man erreicht nichts, nur indem man Ziele setzt. Am Ende entscheidet der Kunde – wenn dieser den Umstieg auf die Elektromobilität schwierig oder mühsam findet, wird er es nicht tun.
Das alles betrifft die batterieelektrischen Fahrzeuge, die sogenannten BEVs. BMW will künftig aber auch Elektroautos anbieten, die den Strom für den Antrieb direkt an Bord aus Wasserstoff erzeugen. Ist das die richtige Strategie?
Technologieoffenheit ist wichtig, genauso wie es richtig ist, den Kunden die Entscheidung zu überlassen, welches das beste Antriebskonzept für sie ist. Wasserstoff ist in erster Linie für Märkte spannend, in denen es noch keine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur gibt. Wasserstoff ist einfach zu speichern und kann über weite Strecken transportiert werden, das bietet ganz neue Möglichkeiten. Dazu kommt, dass ein Wasserstofffahrzeug innerhalb von drei bis vier Minuten wie ein heutiges Verbrennerfahrzeug betankt werden kann. Auch kalte Regionen können von einem Wasserstofffahrzeug profitieren, da das System Eigenwärme erzeugt und die Reichweite damit nahezu temperaturunabhängig ist. Ein Vorteil dieser Brennstoffzellenautos im Vergleich zu BEVs ist ausserdem, dass viel weniger kritische Rohstoffe wie etwa Lithium oder Kobalt benötigt werden. Dies trägt zu einer Diversifizierung bei, die auch eine Resilienz gegenüber gewissen Ressourcen entstehen lässt. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit ist es sehr wichtig, die gesamte Wertschöpfungskette eines Autos zu betrachten. Ein Brennstoffzellenfahrzeug und ein Elektrofahrzeug haben einen vergleichbaren Fussabdruck über den gesamten Lebenszyklus.
Mit der Einführung der Neuen Klasse von BMW reduziert sich aber auch der Fussabdruck der BEVs.
Bei der BMW Group wollen wir bis 2030 die CO₂-Emissionen je Fahrzeug über die gesamte Wertschöpfungskette im Vergleich zu 2019 um 40 Prozent reduzieren. Die Neue Klasse wird dazu einen signifikanten Beitrag leisten. Das erste Serienmodell der Neuen Klasse wird nächstes Jahr im Herbst an der IAA in München präsentiert. Diese Fahrzeuge beherrschen auch das bidirektionale Laden – damit können beispielsweise Eigenheimbesitzer, die von der Solaranlage auf dem Hausdach erzeugte Energie im Auto zwischenspeichern und dann wieder im Haus verwenden, wenn die Sonne nicht scheint. Das ist eine der neuen Möglichkeiten, die die BEV-Verkäufe auch in der Schweiz wieder ankurbeln können.
Ein Ziel von BMW ist es schliesslich, dass bis 2030 mindestens die Hälfte der verkauften Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb ausgestattet ist. Ist das realistisch? Und wie sieht es damit in der Schweiz aus?
Das ist das Ziel, dessen Erreichung auch von den Kunden abhängig ist. Es gibt Länder, die diesen Wert bereits weit übertreffen, und es gibt solche, die noch klar darunterliegen. Ich denke, in der Schweiz ist die Bereitschaft der Kunden grundsätzlich da, doch die erwähnten «Enabler», wie etwa die flächendeckende Ladeinfrastruktur, müssen ebenfalls vorhanden sein. Das Ziel zu erreichen, wird schwierig, solange sich daran nichts ändert. Wir werden auch weiterhin unsere Hausaufgaben machen und unseren Kunden weiterhin ein topmodernes, innovatives und attraktives Portfolio an vollelektrischen Modellen anbieten. Und auch im Bereich der Ladeinfrastruktur werden wir weiterhin den Ausbau mit unseren Möglichkeiten fördern.