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«Das Ziel ist, Materialien so lange wie möglich im System halten zu können»

«Die Kreislaufwirtschaft ist eine grössere Idee, die sich schnell über alle Branchen hinweg ausbreiten kann», sagt Dame Ellen MacArthur. Bild: PD

Produktion & Konsum

«Das Ziel ist, Materialien so lange wie möglich im System halten zu können»

Dame Ellen MacArthur, Gründerin der gleichnamigen Stiftung, gilt als Ikone und Vordenkerin der Kreislaufwirtschaft sowie der globalen Kooperation. Am 23. September 2022 referiert sie am Swiss Sustainability Forum in Bern.

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Wie beurteilen Sie den aktuellen Zustand der Schweiz und der Welt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit?

Ellen MacArthur: Weltweit beobachten wir, dass immer mehr Unternehmen ihre Arbeitsweise ändern, um die Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft zu nutzen und die Ursachen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Abfall und Umweltverschmutzung zu bekämpfen. Die Chancen liegen klar auf der Hand und Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Als Nächstes müssen wir ­dafür sorgen, dass die Transformation der Kreislaufwirtschaft durch global abgestimmte Rahmenbedingungen unterstützt wird, die eine schnelle Skalierung ermöglichen.

Mit Ihrer Stiftung haben Sie einen grundlegend neuen Weg eingeschlagen. Was ist der wichtigste Erfolgsfaktor?

Die Kreislaufwirtschaft ist eine grössere Idee, die sich schnell über alle ­Branchen hinweg ausbreiten kann. So werden Werte und Arbeitsplätze geschaffen und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten erhöht. Das wirtschaftliche Wachstumspotenzial ist enorm. Nur ein Beispiel: Die Studie unserer Stiftung «Business models for a thriving ­fashion industry» zeigt, dass ­zirkuläre Geschäftsmodelle in Bereichen wie Vermietung, Wiederverkauf, Umarbeitung und Reparatur das Potenzial haben, bis 2030 rund 23 Prozent des globalen Modemarktes beziehungsweise 700 Milliarden US-Dollar für sich zu beanspruchen.

Wo haben Sie die grössten Herausforderungen beobachtet?

Wir alle müssen einen Zielkonflikt auflösen: Wie können wir einen positiven und regenerativen Wandel schaffen und vorantreiben, während wir in diesem «Take-make-waste»-System gefangen sind? Mit den Möglichkeiten der Kreislaufwirtschaft lässt sich diese Herausforderung meistern, indem wir Abfall vermeiden, Produkte und Materialien in den Umlauf bringen und so die Natur regenerieren. Kreislaufwirtschaft wird durch Design vorangetrieben. Unser Fokus sollte auf Upstream-Aktivitäten liegen, dem wirklichen Hebel für Abfallvermeidung. Durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Regierungen können wir ein System gestalten, das es uns allen ermöglicht, bessere Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die Lösungen für globale Herausforderungen bieten, anstatt Entscheidungen, die Teil der Probleme werden.

Welche Lehren ziehen Sie aus Ihrem bisherigen Engagement?

Zusammenarbeit ist entscheidend. Globale Probleme brauchen globale Lösungen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist das Global Commitment, das von der Stiftung in Zusammenarbeit mit dem UNO-Umweltprogramm durchgeführt wird. Die Plastikverschmutzung muss an der Quelle bekämpft werden. Mehr als 500 Organisationen stehen nun hinter einer gemeinsamen Vision einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe. Unternehmen, die für 20 Prozent aller ­weltweit hergestellten Kunststoffverpackungen stehen, haben sich zu ehrgeizigen Zielen für 2025 ­verpflichtet. Jährliche Fortschrittsberichte geben ­Aufschluss darüber, wie weit die Unterzeichner mit ­diesen Zielen gekommen sind.

Was sollten Entscheidungsträger in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft jetzt tun?

Wir alle können Entscheidungen treffen, Dinge wiederzuverwenden oder zu reparieren, zu teilen und zu recyceln. Aber das aktuelle Wirtschaftsmodell macht es sehr schwierig und oft unbequem, die Prinzipien und Alternativen der Kreislaufwirtschaft anzuwenden. Wir müssen die Denkweise ändern. Wir sollten der Versuchung widerstehen, zu stark in nachgelagerte Lösungen zu investieren. Es ist völlig verständlich, ­Abfallprodukte zu nehmen, ihre Verwendung neu zu überdenken und innovativ zu sein, um damit etwas Neues zu schaffen. Die Ergebnisse sind greifbar und die positiven Effekte sofort spürbar. Diese Aktivitäten können jedoch so verführerisch werden, dass sie von vorgelagerten Lösungen ablenken. So anerkennenswert und unbestreitbar kurzfristige Lösungen sind: Wir designen mit Abfall, anstatt für die ­Abfallvermeidung zu designen.

Was raten Sie konkret?

Neben unseren Produkten und Dienstleistungen brauchen wir ein Redesign des gesamten Systems, das sie umgibt. Dazu gehören die Geschäftsmodelle, die Art und Weise, wie die Kunden auf die Produkte zugreifen, und die Frage, was mit diesen Produkten geschieht, wenn wir keinen Verwendungszweck mehr für sie haben. Das Ziel ist, Materialien so lange wie möglich im System halten zu können.

Interview: Anja Bundschuh, «Circular Hub»

Zur Person

Den Rekord der schnellsten Solo-Weltumsegelung einer Frau hält Dame Ellen MacArthur. 71 Tage allein mit maximal reduzierten Ressourcen an Bord machten der Britin die existenzielle Bedeutung von Endlichkeit klar. Danach gründete sie die Ellen MacArthur Foundation. Die Prioritäten ihrer Stiftung ­liegen in der Mobilisierung erfolgreicher Innovationen und zirkulärer Geschäftsmodelle. Um zu zeigen, was möglich ist und wo eine Kreislaufwirtschaft die grössten Hebelwirkungen haben kann, arbeitet die Stiftung mit Unternehmen, Regierungen und Hochschulen zusammen und konzentriert sich auf die Bereiche Kunststoff, Lebensmittel, Mode, Finanzen und Städte.

Dieser Beitrag ist Teil der Medienpartnerschaft mit Circular Hub, der Wissens- und Netzwerkplattform für die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz.

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