Die Fundamentalopposition der Natur- und Landschaftsschützer zeigte Wirkung: Erst stieg der Bündner Energieversorger Repower als möglicher Investor aus. Ein paar Monate später bekam auch das EWZ kalte Füsse. Beide Stromfirmen befürchteten, dass die Umweltverbände mit Einsprachen das Projekt verzögern und damit faktisch zu Fall bringen könnten.
Unesco-Welterbe als Hindernis
Auf ein Ungemach folgt häufig ein zweites. Die geplante Anlage am Fuss des höchsten Bündner Berges liegt in Sichtweite der berühmten Bernina-Bahnstrecke, die zum Welterbe der Unesco gehört. Bald wurde deshalb das Bundesamt für Kultur bei Jörg vorstellig. Die Horizontlinie müsse von neuen Bauten und Anlagen freigehalten werden, empfahl die Behörde, sonst drohe eine «schwerwiegende Beeinträchtigung des ausserordentlichen Wertes der Welterbestätte» und im Extremfall gar die Streichung der Bahnlinie von der Unesco-Liste.
Jörg, Geschäftsführer und Gründer der Berninasolar AG, verlor nach diesen Rückschlägen zeitweise den Glauben an sein Projekt. «Die Hoffnung stirbt zuletzt», erklärte er vergangenen Oktober gegenüber den Zeitungen der Tamedia-Gruppe. Es klang nach purer Verzweiflung. Ohne neue Partner musste Jörg befürchten, das eingesetzte Risikokapital – gut 600 000 Franken – zu verlieren. Zumal auch die Zeit gegen ihn spielte. Zumindest ein Teil der alpinen Solaranlage muss bis Ende 2025 am Netz sein. Nur so kann sie vom erleichterten Planungsverfahren und von den grosszügigen Subventionen des Solarexpress-Gesetzes profitieren.
Mittlerweile ist die Zuversicht beim Zürcher Projektentwickler zurückgekehrt. Ende letzten Jahres gelang es ihm, eine Gruppe von Investoren um den Berner PR-Unternehmer Lorenz Furrer zu gewinnen. Sie übernahm die Berninasolar AG zu 85 Prozent. Sowohl die Gemeinde Poschiavo als auch der Kanton Graubünden hatten davor versichert, dass der Solarpark auf dem Berninapass ihrer Auffassung nach nach wie vor erwünscht sei. «Ich bin froh, dass ich das unternehmerische Risiko nun nicht mehr allein tragen muss», sagt Jörg, der früher für Axpo und Alpiq tätig war.
Lorenz Furrer erklärt auf Anfrage, dass er mit seinem Engagement dazu beitragen wolle, dass der Solarexpress Fahrt aufnehme. Auch hofft er auf einen unternehmerischen Erfolg. Der Gründer der PR-Agentur furrerhugi hat zusammen mit seinen Mitstreitern bereits im Saanenland eine riesige Solaranlage geplant, die zwei Drittel des Strombedarfs im Tal decken sollte. Doch obwohl die Umweltverbände dort keine Einwände gegen das Projekt anmeldeten, lehnte die lokale Stimmbevölkerung das Projekt schliesslich ab. Nun soll es im Berner Oberland eine Neuauflage in redimensionierter Form geben.
Solarpark stark redimensioniert
Auch im Engadin soll die Anlage am Berninapass nun deutlich kleiner werden, um damit die Umweltverbände milde zu stimmen. «Unser Ziel ist es, die Anlage so umzusetzen, dass sie kompatibel mit den Anliegen der Schutzorganisationen ist. Das ist auch unser Ansatz bei der Anlage im Saanenland», sagt Lorenz Furrer. Mit dem Solarpark am Berninapass will der Politkommunikator gleichsam einen neuen Standard setzen und beweisen, dass gute Projekte realisiert werden können, wenn die Umweltverbände bei der Planung und der Umsetzung mitreden dürfen.
Am vergangenen Mittwoch haben die Promotoren der Anlage bei der Gemeinde Poschiavo die Baueingabe für das komplett neu gestaltete Projekt deponiert. Es hat nur noch etwa ein Viertel der ursprünglich geplanten Kapazität: Die Fläche, auf der Solarmodule auf Stahlträger installiert werden, beträgt nun noch gut 30 Hektaren. Mit dem Strom könnten gut 5000 Haushalte versorgt werden.
Furrer betont, dass sich das abgespeckte Projekt an einem Gutachten orientiere, das der WWF eigens für das geplante Solarkraftwerk am Berninapass in Auftrag gegeben hatte. «Wir nehmen sämtliche Vorschläge aus dem Bericht auf.» Ebenfalls erfülle es den Kriterienkatalog der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz für alpine Solaranlagen nahezu vollständig. Die Projektverantwortlichen haben für die Schutzorganisationen eigens einen Bericht verfasst, in dem sie die Wahl des Standorts und der Massnahmen plausibilisieren.
Darin legen die Verfasser dar, dass es sich bei dem Gebiet, auf dem die Solaranlage geplant ist, keineswegs um unberührte Natur handle; durch ehemalige Bunkeranlagen und nur zum Teil rückgebaute Skilifte wie auch die landwirtschaftliche und touristische Nutzung sei die Landschaft bereits belastet. Auch werde die Zone stark von Infrastrukturen geprägt – nicht nur liege der Stausee Lago Bianco in Sichtweite der geplanten Anlage, auch führe eine Hochspannungsleitung dem Gebiet entlang, das nicht geschützt sei. Dabei würden Bergseen und kleine Moore mit grosszügigen Pufferstreifen ausgespart.
Die neuen Besitzer von Berninasolar hoffen, mit diesen Zugeständnissen die Natur- und Landschaftsschützer dazu zu bewegen, ihre Fundamentalopposition gegen das Projekt aufzugeben. Doch danach sieht es nicht aus.
Pro Natura und Co. bleiben kritisch
Armando Lenz, Geschäftsführer von Pro Natura Graubünden, betont, dass man den Standort der Anlage grundsätzlich für ungeeignet halte für den Bau einer Solaranlage. «Es handelt sich um eine unberührte Landschaft mit wertvollen Feuchtgebieten – und diese darf nicht durch den Bau einer Solaranlage beeinträchtigt werden.» Dass dort vor dreissig Jahren ein Skilift betrieben worden sei, ändere an diesem Faktum nichts.
Starke Vorbehalte hat auch der SL-Direktor Raimund Rodewald. «Die Anlage ist in einer weitgehend unberührten Hochgebirgslandschaft geplant, die einen bedeutenden Wert hat. Wir bezweifeln deshalb, dass unsere Kriterien für den Bau solcher Anlagen erfüllt werden können.» Noch hätten die Promotoren von Berninasolar seine Stiftung vom Projekt nicht überzeugen können, so Rodewald. Dies im Gegensatz zu diversen anderen Projekten im Kanton Graubünden, die man mittrage. Man werde aber die Unterlagen der Baueingabe genau prüfen.
Der WWF Graubünden will sich derweil inhaltlich nicht zum redimensionierten Projekt äussern. Man wolle erst die Unterlagen zur Baueingabe genau anschauen, bevor man sich inhaltlich dazu äussere, sagt die Geschäftsführerin Anita Mazzetta.
Noch macht keine der Schutzorganisationen Angaben darüber, ob sie das Projekt mit Einsprachen bekämpfen wollen. Vorgesehen ist, dass der Kanton Graubünden innerhalb von drei Monaten einen Entscheid zur Baueingabe fällen wird. Klar ist: Gehen die Umweltverbände auf gerichtlichem Weg gegen die geplante Anlage vor, dürfte es Jahre dauern, bis an den Berghängen des Berninamassivs erstmals Solarstrom geerntet werden kann.