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Im Labor hat EPFL-Professor Jeremy Luterbacher (re.) mit seinen Studierenden einen neuartigen Kunststoff entwickelt. Fotos: ALAIN HERZOG/EPFL
Klima & Energie

Plastik ohne Erdöl: Mit Holz und Gras ein bisschen die Welt retten

Professor Jeremy Luterbacher hat an der EPFL ein Verfahren entwickelt, mit dem Kunststoff aus organischen Pflanzenabfällen hergestellt wird. Das neuartige Material könnte für Verpackungen und viele andere Produkte genutzt werden.

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«Ich habe mich nicht für mein Forschungsgebiet entschieden, um die Welt zu retten», sagt Professor Jeremy Luterbacher und lacht. «Ich habe aber Spass daran, technische Herausforderungen zu meistern. Und wenn ich schon Probleme löse, warum dann nicht solche, bei denen auch die Rettung der Welt eine Rolle spielt? Das macht die Sache doch viel aufregender.» So gesehen, ist der Schweizer und USamerikanische Chemiker, der an der EPFL das «Laboratory of Sustainable and Catalytic Processing» (LPDC) führt und auf Verfahrenstechnik fokussiert, auf einem äusserst vielversprechenden Weg. Mehr Herausforderung als in seinem Fachgebiet geht kaum. Mehr Weltrettung auch nicht. Schliesslich gilt es, gleich mehreren globalen Krisen zu begegnen: Der menschengemachte Klimawandel heizt den Planeten auf, während Plastik in immer kleineren Partikeln Ökosysteme von der Tiefsee bis zum Alpengletscher vermüllt. Bei genauer Betrachtung zeigt sich aber, dass eine gigantische Stellschraube gleich beide Krisen befeuert: das Erdöl.

Vielseitiger Rohstoff

Wird es verbrannt, treiben seine Emissionen wie das Treibhausgas Kohlendioxid in der Atmosphäre die Klimakrise an. Erdöl ist zudem aber ein vielseitiger Rohstoff, der eine breite Palette an Produkten liefert (siehe Artikel rechts: «Schwarzes Gold»). Dazu gehört auch Plastik in all seinen Varianten.

Anders gesagt: Wer die klima- und umweltfeindliche Nutzung von Erdöl beenden möchte, muss sich Gedanken über abbaubare Kunststoffe machen. Ganz so wie Jeremy Luterbacher, der dieses ambitionierte Ziel mit einem eigenen Ansatz verfolgt.

Wer in diesem Bereich arbeitet, muss zunächst die fundamentale Frage beantworten, welche Arten von Plastik – ganz unabhängig von ihrer Machbarkeit – überhaupt wünschenswert und sinnvoll sind. Wollen wir in Zukunft umweltfreundlichere Imitate erdölbasierter Kunststoffe nutzen? Oder lieber auf neuartige Materialien mit möglicherweise ungekannten Eigenschaften setzen?

Es ist schliesslich kein Naturgesetz, das Erdöl bisher zum Mass aller Kunststoffe machte. «Das schwarze Zeug quillt fast umsonst aus dem Boden», sagt Luterbacher. «Natürlich haben wir es genutzt und damit das wirtschaftliche Wachstum im letzten Jahrhundert vorangetrieben.» Nun wird die Produktion von Plastik aber ganz neu gedacht, und Erdöl steht dabei laut Luterbacher als Ressource und als Vorbild auf dem Prüfstand. Denn es enthalte viele Moleküle, die kein Lebewesen essen will – was sie zum schwer abbaubaren Problem in der Umwelt mache.

Nicht alle Kollegen sind davon überzeugt. Sie orientieren sich weiterhin an erdölbasierten Kunststoffen. Das bedeutet, dass sie neue Moleküle entwickeln, die so nah wie möglich ans Original herankommen sollen. Ein perfektes Szenario für die Industrie, so Luterbacher. «Sie würde sich freuen, für weniger Geld diesselben Moleküle wie bisher nutzen zu können, weil es die Produktionswege und Lieferketten schon gibt. Das Problem ist, dass die Chemie für diesen Ansatz nicht gerade einfach ist.»

Wieder andere denken ihre Plastikprojekte eher von der Funktion her: Was sollten neuartige Kunststoffe können? «Da sind tatsächlich raffinierte Materialien dabei», sagt Luterbacher. Es gehe hier aber weniger um die Frage, wie die dazu passenden Moleküle aussehen und ob sie vielleicht doch aus Erdöl stammen.

Er selbst hat sich für den pragmatischen Mittelweg entschieden und eine eigene Philosophie entwickelt: «Ich will nehmen, was die Natur hergibt, und mir dann überlegen, was sich möglichst einfach daraus produzieren lässt, das potenziell auch eine Funktion hat.»

Erdölverbrauch weltweit in Millionen Tonnen. Quelle: Statista (2023)

Quelle: Statista (2023)

Weltweiter Erdölverbrauch Seit 1970 hat sich der globale Erdölverbrauch mehr als verdoppelt. 2021 betrug er, nach einem Rückgang im Corona-Jahr 2020, rund 4,2 Milliarden Tonnen.

Sanfte Chemie

Was aber ist Plastik überhaupt? Laut Luterbacher weniger ein definiertes Material als eine Eigenschaft. Ähnlich wie bei Papier müssen lange Molekülketten – oder Polymere – ein Gewirr bilden. So entsteht Plastik, also ein festes Material, das sich aber doch brechen lässt, wenn die Molekülketten entwirrt werden.

Kohlenstoffbasierte Molekülketten, die sich grundsätzlich auch zur Plastikproduktion eignen, hat die Natur tatsächlich überreich im Angebot. Sie finden sich in Holz, Gras, Blättern und anderem Pflanzenabfall. Derartiger Biomüll fällt in grossen Mengen an und wird kaum verwertet. Die entscheidenden langkettigen Polymere sind das Lignin, die Zellulose und Hemizellulose. Zellulose besteht nur aus dem Zucker Glukose, und auch Hemizellulose enthält nur einige wenige Bestandteile, die dann allerdings in beiden Fällen tausendfach miteinander zu langen Ketten verknüpft sein können. Luterbacher nutzt Pflanzenabfall zur Plastikproduktion, setzt dabei aber auf sanfte Chemie, die in einem Schritt zum Ziel führt: «Im Grunde kochen wir einfach nur Holz», sagt er. Der von ihm entwickelte chemische Prozess ist unglaublich einfach im Vergleich zu anderen Ansätzen. Wichtig ist, dass die entscheidenden Zuckerstrukturen herausgelöst werden, aber intakt bleiben. Sie bekommen chemische Gruppen mit bestimmten Funktionen angehängt, was letztlich hilft, das langkettige Gewirr zu bilden – also Plastik.

3D-gedrucktes «Blatt» aus neuem Biokunststoff.

Quelle: 3D-gedrucktes «Blatt» aus neuem Biokunststoff.

Plastik aus Zucker

Luterbachers Kunststoffe aus Pflanzenpolymeren zeigen bereits ähnlich gute Eigenschaften wie herkömmliches Plastik. In einer Arbeit konnte das Team sogar Kunststoffe präsentieren, die gleichwertig mit klassischem PET-Plastik sind. Mit einem entscheidenden Unterschied: Luterbachers Plastik belastet die Umwelt nicht, weil es letztlich aus weit verbreiteten Zuckern aufgebaut ist. Die besten Polymere hat bisher Xylose geliefert, die unter anderem in Süssstoffen und Zahnpasta vorkommt. Sie sind allesamt geniessbar und sollten leicht oder leichter als erdölbasierte Produkte abbaubar sein – was aber erst offiziell zertifiziert werden muss.

Der Sprung zur industriellen Produktion ist dennoch weit, auch weil neuartige Kunststoffe erst ausgiebig getestet werden müssen, etwa ob sie als Verpackung den Geschmack von Lebensmitteln verändern und grundsätzlich mit diesen verträglich sind. Aber ein Anfang ist gemacht, und Jeremy Luterbacher will sich mit erneuerbarem und abbaubarem Plastik auch nicht begnügen. Wer die Welt retten will, muss die gesamte chemische Industrie neu erfinden und nachhaltig machen. Mit seinem Team arbeitet er bereits erfolgreich an der Entwicklung weiterer Materialien, die erdölbasierte Produkte ersetzen sollen, darunter Lösungsmittel, Duft- und Geschmacksstoffe. «Ich habe einmal ein gutes Zitat gehört», sagt Jeremy Luterbacher. «Industriechemiker hätten uns den Schlamassel mit der Erdölchemie eingebrockt, sie sollten uns da also auch wieder rausholen. Und ich will dazugehören.»

«Schwarzes Gold» in der Creme

Erdöl hat sich nach der gängigen Erklärung vor vielen Millionen Jahren aus abgestorbenen Meeresorganismen gebildet. Eine grundlegende Transformation: Durch Hitze, Druck und chemische Prozesse hat sich die Biomasse über lange Zeiträume in zähfliessendes Erdöl umgewandelt.

Rohöl, das aus der Erdkruste gepumpt wird, ist ein Molekülgemisch, das Hunderte verschiedener Kohlenwasserstoffverbindungen enthält. Diese haben unterschiedliche Siedepunkte, können in der Raffinerie also über Erhitzung aufgetrennt werden – etwa in Gase, Diesel, Benzin, Kerosin und Heizöl.

Doch Erdöl ist auch Ausgangsstoff für eine Vielzahl von Alltagsprodukten. Farben, Lacke und Kosmetika wie Gesichtscremes gehören dazu, aber auch populäre Medikamente wie Aspirin. Nicht zuletzt ist Erdöl der Rohstoff für die Herstellung von Plastik. Die Bandbreite der Produkte reicht von Fensterrahmen, Fussbodenbelägen, Haushaltsgeräten und medizinischen Geräten über Schaumstoffe bis zu Kinderspielzeug und Synthetikfasern wie Nylon.

In modernen Industriegesellschaften gibt es wenige Gebrauchsgegenstände, die nicht von dieser Ressource abhängen. Erdöl ist vermutlich der wichtigste aller Rohstoffe.

Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von EPFL erstellt.

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