Ambitionierte Klimaziele
Die Kooperation mit Synhelion ist für Swiss kein singuläres Engagement, sondern «ein zentrales Element unserer langfristigen Nachhaltigkeitsstrategie», erklärt Dieter Vranckx, CEO der Airline. Sein Unternehmen hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2030 die Netto-CO₂-Emissionen des Flugbetriebs gegenüber 2019 zu halbieren und bis 2050 eine neutrale CO₂-Bilanz zu erreichen. Die gesamte Branche steht inzwischen zu dieser notwendigen Transformation im Sinne des Klimaschutzes: Im Oktober 2022 hat die Internationale Organisation für zivile Luftfahrt (ICAO) ebenfalls ein Netto-null-Ziel verabschiedet. Das von Synhelion entwickelte Verfahren ist weltweit einzigartig: Es nutzt Solarwärme zur Herstellung von Synthesegas, das wiederum in flüssige nicht-fossile Treibstoffe wie Kerosin, Benzin oder Diesel umgewandelt werden kann. Bei der Verbrennung dieses alternativen Solartreibstoffs wird nur so viel CO₂ freigesetzt, wie bei seiner Herstellung verwendet wurde. Der Clou: Wenn «normaler» fossiler Treibstoff verbrannt wird, entstehen CO₂, Wasserdampf und Hitze. Diese Hitze lässt sich wiederum nutzen, um einen Motor anzutreiben. Synhelion kehrt diesen Vorgang um – nach einem verblüffend einfachen Rezept: Man nehme Wasser, CO₂ und Methan und erhitze das Ganze mit Solarwärme. Für die erste industrielle Anlage verwendet Synhelion biogenes CO₂ aus einer lokalen Papierfabrik. Aber auch die Verwendung von CO₂ direkt aus der Umgebungsluft ist möglich. Das Ergebnis ist ein synthetisches oder solares Rohöl, das sich in einer Raffinerie zu Treibstoff verarbeiten lässt. Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein Mittel aus der Alchemistenküche anmutet, könnte schon bald den Luftverkehr revolutionieren. Denn die solaren Treibstoffe sind mit allen herkömmlichen Flugzeugtriebwerken und Verbrennungsmotoren kompatibel. Und für ihre Herstellung braucht man weder Erdöl noch erneuerbaren Strom, weil man die Sonnenenergie unmittelbar nutzen kann.
Problemlos beimischen
Sun-to-Liquid ist also eine alternative Methode zur Erzeugung von SAF, die auch als «Drop-in- Fuels» bezeichnet werden, weil man sie herkömmlichen Treibstoffen problemlos beimischen kann. Daneben haben Forschung und Industrie bereits biogene Verfahren entwickelt, die darauf abzielen, Kohlenstoff aus Gasen oder nachhaltiger Biomasse in Kraftstoff umzuwandeln. Einen solchen Lösungsansatz bildet das sogenannte HEFA-Verfahren. Es verzeichnet derzeit die geringsten technologischen Risiken und ist bis dato der einzige nachhaltige Flugzeugtreibstoff, der auf dem Markt verfügbar ist. Bei dem Verfahren werden Fette aus der Lebensmittelbranche sowie Industrieabfälle hydriert und anschliessend wie fossile Brennstoffe raffiniert. Swiss stellt vertraglich sicher, dass das so produzierte Kerosin kein Palmöl enthält. Der Nachteil der biogenen Verfahren? Die Menge an Biomasse für die Herstellung von nachhaltigem Treibstoff ist limitiert. Die Idee von Elektro- oder Wasserstoffantrieben für grosse Flugzeuge wiederum scheint derzeit in weite Ferne gerückt zu sein. Technologische Knackpunkte sind hier die noch zu geringe Energiedichte von Batterien und eine unzureichende Speicherkapazität von Wasserstoff.
Kunden können kompensieren
Swiss setzt sich auch noch auf andere Weise für den Klimaschutz ein: Die Airline bietet ihren Kunden an, CO₂-Emissionen des jeweiligen Flugs durch den Kauf von nachhaltigem Treibstoff oder durch Investitionen in Klimaschutzprojekte der Schweizer Stiftung myclimate auszugleichen. Wenn Passagiere ihren Treibstoffverbrauch ganz oder teilweise mit SAF kompensieren, setzt die Lufthansa Group die entsprechende Menge an nachhaltigem Treibstoff ein. Die heute verfügbaren SAF reduzieren die CO₂-Emissionen im Vergleich zu fossilen Treibstoffen bereits um mindestens 80 Prozent. Noch allerdings ist die verfügbare Menge an SAF äusserst knapp – aktuell sind nur rund 0,5 Prozent des weltweit verfügbaren Treibstoffs nicht-fossilen Ursprungs. Es gibt bisher noch zu wenige Raffinerien, die in der Lage oder willens wären, SAF zertifiziert und in ausreichenden Mengen zu produzieren. Kein Wunder, dass nachhaltige Treibstoffe heute immer noch um ein Mehrfaches teurer sind als herkömmliches Kerosin. Swiss hat die Herausforderung angenommen und setzt alles daran, die Nutzung und Skalierung von SAF weiter voranzutreiben und so bald wie möglich den ersten Solartreibstoff von Synhelion im Flugbetrieb zu verwenden.
Anlage mit riesigem Spiegelfeld
Die Zukunft hat schon begonnen – ganz konkret im westdeutschen Städtchen Jülich bei Aachen. Denn dort, im «Brainergy Park» in der Nähe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, baut Synhelion zurzeit die weltweit erste Anlage im industriellen Massstab zur Herstellung von kohlenstoffneutralem Solartreibstoff – ein weiterer grosser Meilenstein auf dem Weg zu «Net Zero». Die Anlage besteht aus einem riesigen Spiegelfeld, das dem Lauf der Sonne folgt und das Sonnenlicht auf einen 20 Meter hohen Turm reflektiert. In dessen Inneren entsteht Hochtemperatur-Prozesswärme von mehr als 1000 Grad Celsius für die Herstellung von Sun-to-Liquid-Treibstoff. Ein Reaktor im Turm produziert das benötigte Synthesegas. Der Reaktor selbst wird einerseits mit Methan und Kohlendioxid aus Bioabfällen einer Papierfabrik und andererseits mit Wasser gespeist. Die Machbarkeit ihrer Technologie hatte Synhelion schon 2019 in einer solaren Mini-Raffinerie an der ETH Zürich bewiesen. Mit Unterstützung von Swiss und der Lufthansa Group sowie weiteren Partnern und Investoren soll der innovative Solartreibstoff nun möglichst bald auf den Markt gebracht werden. Läuft alles nach Plan, werden in Jülich jedes Jahr 10 000 Liter Solarkraftstoff produziert. Damit nicht genug: 2025 wird Synhelion im sonnigen Spanien eine noch viel grössere kommerzielle Anlage mit einem höheren Produktionsvolumen in Betrieb nehmen. Und das ist erst der Anfang. «Innerhalb der nächsten zehn Jahre streben wir Produktionskosten von unter einem Franken pro Liter und eine kommerzielle Produktionskapazität von 875 Millionen Litern Treibstoff pro Jahr an», sagt Philipp Furler, CEO und Mitgründer von Synhelion. Das entspreche etwa der Hälfte des Schweizer Bedarfs an Flugtreibstoff. Bis 2040 will man die Produktion sogar auf 50 Milliarden Liter Solatreibstoff im Jahr hochfahren. «Wir glauben an eine globalisierte Welt, die durch saubere und nachhaltige Mobilität verbunden ist», betont Furler. Er freue sich schon «auf den Tag, an dem die erste Swiss-Maschine mit unserem Solartreibstoff abhebt».