Staus, abgelegene Dörfer, lange Wege – in medizinischen Notfällen zählt jede Minute. Drohnen revolutionieren die Logistik: Sie liefern Blutkonserven, Medikamente und Laborproben schneller als jedes Auto. Doch wie praxistauglich ist die Technologie wirklich?
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Wie Drohnen Leben retten
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• • Gastbeitrag von Noël Stierlin*
Drohnen verbessern die Notfalllogistik, indem sie medizinische Güter schnell und zuverlässig in entlegene Gebiete transportieren.
Drohnen bieten eine umweltfreundliche Alternative, da sie deutlich weniger CO₂ ausstossen als herkömmliche Transportmittel.
Für einen breiten Einsatz müssen jedoch noch regulatorische, technische und gesellschaftliche Herausforderungen gemeistert werden.
In der modernen Gesundheitsversorgung zählt jede Minute. Ob lebensrettende Medikamente, Blutproben oder Laboranalysen – der schnelle und zuverlässige Transport medizinischer Güter ist essenziell für den Therapieerfolg und die Patientensicherheit. Doch traditionelle Logistiksysteme stossen an ihre Grenzen: Verkehrsstaus in Städten verzögern Notfalllieferungen, während in ländlichen Regionen weite Entfernungen und mangelnde Infrastruktur den Zugang zur Gesundheitsversorgung erschweren.
Drohnen versprechen hier eine Revolution: Sie sind nicht nur schneller als herkömmliche Transportmittel, sondern auch kosteneffizienter, umweltfreundlicher und vielseitig einsetzbar – sei es für den Notfalltransport von Blutkonserven oder die Routineversorgung von Laboren. Doch wie realistisch ist ihr grossflächiger Einsatz? Und welche Herausforderungen müssen noch überwunden werden?
CO₂-Einsparung von mehr als 99 Prozent
Studien zeigen, dass Drohnen die CO₂-Emissionen im Vergleich zu Verbrennungsfahrzeugen drastisch reduzieren. Während ein durchschnittliches Auto etwa 159,5 Gramm CO₂ pro Kilometer ausstösst, sind es bei Elektroautos nur 3,43 Gramm. Drohnen hingegen verursachen lediglich 0,09 Gramm CO₂ pro Kilometer – eine Einsparung von mehr als 99 Prozent. Auch in puncto Geschwindigkeit übertreffen Drohnen konventionelle Transportmethoden deutlich: In städtischen Gebieten sind sie bis zu 57 Prozent schneller als Kurierdienste, in bergigem Gelände sogar um bis zu 80 Prozent. Sie umgehen Staus, nehmen die direkte Route und können medizinische Güter unabhängig von der Strasseninfrastruktur befördern – ein entscheidender Vorteil für Notfalllogistik und Labortransporte.
Katapultstart einer Zipline-Drohne in Afrika. Bild: Zipline
In der Notfallmedizin kann eine Verzögerung von wenigen Minuten über Leben und Tod entscheiden. Drohnen bieten hier eine einzigartige Lösung: Sie können mit Blutkonserven, Medikamenten oder Defibrillatoren bestückt werden und binnen kürzester Zeit an den Einsatzort gelangen.
Das kalifornische Unternehmen Zipline demonstriert eindrucksvoll, wie diese Technologie Leben rettet. In Ruanda und Ghana haben die autonomen Fluggeräte der Robotik-Firma aus dem Silicon Valley bereits mehr als eine Million medizinische Lieferungen durchgeführt. Über das ausgedehnte Zipline-Drohnennetzwerk werden Blutkonserven, Impfstoffe und lebenswichtige Medikamente zuverlässig in entlegene Gebiete transportiert.
In Regionen, die bisher nur schwer oder gar nicht erreichbar waren, haben sich die Versorgungsqualität und die medizinischen Reaktionszeiten dadurch erheblich verbessert. Blutkonserven, die früher aufgrund logistischer Herausforderungen zu spät oder gar nicht eintrafen, erreichen nun innerhalb von 30 Minuten ihre Bestimmungsorte.
Routineflüge zwischen Labors
Während Drohnen im Notfalleinsatz besonders spektakulär wirken, könnten sie auch in der alltäglichen medizinischen Logistik eine wesentliche Rolle spielen – etwa beim Transport von Laborproben.
Routineflüge zwischen Laboreinrichtungen reduzieren Verzögerungen in der Diagnostik erheblich. Derzeit müssen Blut- oder Gewebeproben oft per Kurier oder Taxi zwischen Klinik und Labor transportiert werden, was zu Verzögerungen von mehreren Stunden führen kann. In Städten wie London oder Chicago testen Krankenhäuser bereits Drohnenflotten, um den Probentransport zu automatisieren – mit Erfolgen: Transportzeiten konnten von 30 Minuten auf wenige Minuten reduziertwerden.
Globale Pioniere
Während Europa in vielen Bereichen noch vor regulatorischen Herausforderungen steht, haben sich in anderen Teilen der Welt bereits funktionierende Modelle etabliert, die als Vorbild für zukünftige Entwicklungen dienen können. Dass autonome Fluggeräte auch hierzulande eine tragfähige Lösung für die medizinische Logistik sein können, zeigt die Dr. Risch-Gruppe, ein führendes Labormedizin-Unternehmen aus Liechtenstein und der Schweiz. In Zusammenarbeit mit dem Startup Jedsy nutzt sie testweise schon heute Drohnen für den Transport von Laborproben zwischen verschiedenen Standorten. Die innovative Lösung ermöglicht es, die Proben schnell und effizient an ihre Bestimmungsorte zu liefern, ohne auf den Strassenverkehr angewiesen zu sein. Das Besondere an der Jedsy-Technologie: Drohnen können direkt an Fenster von Laboren oder Kliniken andocken, wodurch eine besonders effiziente Übergabe gewährleistet ist.
Die Drohnen des Startups Jedsy transportieren Laborproben. Bild: Jedsy
Gamechanger für Entwicklungsländer
Neben den technologischen Vorteilen bieten Drohnen besonders in wirtschaftlich schwächeren Ländern enorme Chancen. In vielen Regionen ohne ausgebautes Strassennetz sind sie oft die einzige Möglichkeit, medizinische Versorgung zuverlässig sicherzustellen. Ihr Einsatz reduziert die Abhängigkeit von konventioneller Logistik, die in entlegenen Gebieten häufig unzuverlässig oder schlicht nicht vorhanden ist.
Auch die wirtschaftlichen Effekte sind nicht zu unterschätzen. Die Einführung von Drohnen schafft neue Arbeitsplätze, insbesondere in den Bereichen Wartung, Steuerung und Infrastruktur. Lokale Techniker werden für den Betrieb und die Instandhaltung der Drohnensysteme geschult, während Logistikzentren entstehen, die als Basis für die wachsende Drohnenindustrie dienen.
Darüber hinaus senken Drohnen langfristig die Gesundheitskosten. Indem sie schnellere Diagnosen ermöglichen und die Effizienz bei der Medikamentenversorgung erhöhen, tragen sie dazu bei, Spital aufenthalte zu verkürzen und die Belastung für das Gesundheitssystem zu reduzieren. In Regionen mit knappen medizinischen Ressourcen bedeutet dies, dass Ärzte und Pflegepersonal ihre Kapazitäten gezielter einsetzen können, anstatt Zeit mit aufwändigen Logistikprozessen zu verlieren.
Nicht zuletzt verbessert der Einsatz von Drohnen den Zugang zur Gesundheitsversorgung erheblich. Patienten in abgelegenen Dörfern erhalten lebenswichtige Medikamente, Impfstoffe und Blutkonserven wesentlich schneller als bisher. Dies kann insbesondere bei chronischen Erkrankungen oder Epidemien einen entscheidenden Unterschied machen.
Rettungseinsätze in unwegsamem Gelände
In alpinen Regionen, abgelegenen Wäldern oder schwer zugänglichen Küstengebieten stossen traditionelle Rettungsmethoden oft an ihre Grenzen. Drohnen bieten hier eine schnelle und flexible Lösung: Sie können Notfallkits, Defibrillatoren (AEDs) oder lebenswichtige Medikamente direkt zum Einsatzort bringen und damit die kritische Wartezeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte überbrücken.
Besonders in der Bergrettung haben sich Drohnen als wertvolle Helfer erwiesen. In Situationen, in denen Hubschrauber wegen schlechter Sicht, starkem Wind oder steilem Gelände nicht sicher landen können, sind Drohnen in der Lage, Thermodecken, Erste-Hilfe-Ausrüstung oder Kommunikationsgeräte punktgenau abzuwerfen. Dadurch können Verletzte oder ihre Begleiter bereits vor dem Eintreffen der Bergretter Massnahmen ergreifen.
Die Rega verwendet Drohnen für Sucheinsätze. Bild: Rega
Auch bei Herznotfällen in entlegenen Regionen könnten Drohnen Leben retten. In Schweden laufen bereits Pilotprojekte, bei denen Drohnen mit Defibrillatoren ausgestattet sind und innerhalb von Minuten zum Einsatzort fliegen. Ersthelfer erhalten über eine App Anweisungen, um eine schnelle Reanimation einzuleiten, während der Rettungsdienst noch unterwegs ist.
Zudem werden Drohnen in Such- und Rettungseinsätzen eingesetzt, um Vermisste mittels Wärmebildkameras aufzuspüren. Dadurch kann der Einsatz von Rettungskräften gezielter erfolgen und wertvolle Zeit eingespart werden – ein entscheidender Faktor, insbesondere in eisigen Temperaturen oder unwegsamem Gelände.
Suche nach Vermissten bei der Rega
Die Rega-Drohne fliegt selbständig grossflächige Suchgebiete ab und ist mit verschiedenen Sensoren ausgestattet. Sie kommt bei Suchaktionen für vermisste, verletzte oder erkrankte Personen ergänzend zum Einsatz. Neben einer Wärmebildkamera ist die Drohne auch mit einem Mobilfunkdetektor, dem sogenannten «Lifeseeker» ausgestattet. Damit ortet die Drohne Mobiltelefone auf einige Meter genau, auch wenn im Suchgebiet kein Mobilfunkempfang besteht. Jede Suche nach Vermissten erfolgt in Zusammenarbeit mit den Behörden und stets nur dann, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass eine vermisste Person in Not ist.
Was noch gelöst werden muss
Trotz der zahlreichen Vorteile stehen dem breiten Einsatz von Drohnen in der medizinischen Logistik noch einige Herausforderungen im Weg. Ein zentrales Problem ist die regulatorische Unsicherheit, da in vielen Ländern klare gesetzliche Rahmenbedingungen für den kommerziellen Einsatz von Drohnen im Gesundheitswesen fehlen. Besonders Fragen zur Luftraumkontrolle, zur Haftung im Falle eines Unfalls und zur Integration in bestehende Logistiksysteme sind bislang nur unzureichend geklärt.
Auch aus technischer Sicht gibt es noch Hürden. Die Akkulaufzeiten müssen weiter verbessert werden, um grössere Distanzen effizient bewältigen zu können, insbesondere in Regionen mit weit auseinanderliegenden medizinischen Einrichtungen. Zudem müssen die Flugsysteme widerstandsfähiger gegenüber wechselnden Wetterbedingungen werden, damit sie auch bei starkem Wind, Regen oder extremen Temperaturen zuverlässig operieren können.
Ein weiterer Aspekt ist die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Technologie. Während Drohnen in bestimmten Regionen bereits ein fester Bestandteil der Gesundheitslogistik sind, gibt es vielerorts noch Vorbehalte gegenüber unbemannten Fluggeräten. Sorgen hinsichtlich der Datensicherheit, der Lärmbelastung oder potenzieller Störungen im Luftraum führen dazu, dass sich der Einsatz in einigen Ländern langsamer entwickelt als technisch möglich wäre.
Drohnen in der Schweiz
In der Schweiz gibt es bereits heute mehr als über 90 000 registrierte Drohnenpilotinnen und -piloten – Tendenz steigend. Zivile Drohnen kommen für die Rettung von Menschen und Rehkitzen, den Pflanzenschutz im Rebbau, Inspektionen an Gebäuden, Transport von Medikamenten und vielem mehr zum Einsatz. Entsprechend verfügen sie über ein grosses gesellschaftliches und volkswirtschaftliches Potenzial, wie es in einer Mitteilung des Bundesrats heisst. In der Forschung und Entwicklung sind Schweizer Hochschulen wie ETH und EPFL sowie Startups in den Bereichen Drohnen und Robotik an der Weltspitze vertreten.
Dennoch sind Fortschritte in all diesen Bereichen absehbar. Regulierungsbehörden arbeiten zunehmend an massgeschneiderten Gesetzen für den Einsatz von Drohnen im Gesundheitswesen, während technologische Entwicklungen kontinuierlich die Reichweite, Sicherheit und Effizienz der Systeme verbessern. Gleichzeitig wächst der Druck auf die Gesundheitslogistik, effizienter zu werden, sodass innovative Lösungen wie Drohnen zunehmend als notwendige Ergänzung zu bestehenden Transportwegen betrachtet werden.
* Der Autor ist Facharztkandidat (FAMH) für Labormedizin und beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschungstätigkeit und Doktorarbeit mit der Integration von Drohnen in die medizinische Logistik.
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