«Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust», sagt Goethes Faust. So dürfte es auch vielen der von der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) und der NZZ befragten Volkswirtschafter gehen, wenn sie auf das Klimaschutzgesetz blicken, über das die Schweiz am 18. Juni abstimmt. Eine hauchdünne Mehrheit der 124 Ökonominnen und Ökonomen ist der Ansicht, dass die Schweiz dank dem Klimaschutzgesetz das Netto-Null-Emissionsziel 2050 erreichen wird, der Rest bleibt skeptisch.
CO₂ vor allem im Inland reduzieren
Ein Umfrageteilnehmer dürfte mit seinen Bemerkungen die Stimmung ganz gut treffen. Bei dem Gesetz handle es sich um einen Zwischenschritt, der die langfristige Perspektive festlege, schreibt er. Das sei essenziell, auch wenn die konkreten Massnahmen – insgesamt 3,2 Milliarden Franken an Subventionen für die Umrüstung von Heizungen und für den Einsatz neuer Technologien bei Firmen – noch nicht genügten, um dieses Ziel zu erreichen.
Das 2021 vom Volk knapp abgelehnte CO₂-Gesetz sei mit seinen Abgaben aus ökonomischer Warte zwar besser gewesen als das jetzige Klimaschutzgesetz. Doch wenn man auch noch dieses ablehne, gerate die Schweiz international in eine schwierige Situation, argumentiert ein weiterer Teilnehmer. Viele Befragte dürften dem Gesetz also faute de mieux positiv gegenüberstehen, was auch auf viele Stimmbürger zutreffen mag.
Ebenfalls umstritten ist, wie viel CO₂ die Schweiz im Inland reduzieren sollte. Laut dem revidierten CO₂-Gesetz, das sich derzeit in der Vernehmlassung befindet, sollen bis 2030 mindestens zwei Drittel im Inland eingespart werden. Dannzumal will die Schweiz 50 Prozent weniger CO₂ ausstossen als 1990.
In der Theorie ist die Sache zwar klar: Treibhausgase sollten dort auf der Welt verringert werden, wo dies am kostengünstigsten ist, ein Franken also die grösste Wirkung hat. Denn fürs Klima spielt es keine Rolle, ob man in der Schweiz oder einem Schwellenland CO₂ reduziert. In der Vergangenheit hat sich jedoch gezeigt, dass bei Reduktionen im Ausland oft nicht gesagt werden kann, ob diese nicht auch ohne Hilfe aus der Schweiz erfolgt wären und ob etwa bei Projekten im Regenwald CO2 dauerhaft gebunden oder der geschützte Wald später doch gerodet wird.
60 Prozent der Befragten sind jedenfalls der Ansicht, dass die Emissionsreduktionen ganz oder überwiegend in der Schweiz selbst stattfinden sollten. Nur jeder Dritte folgt noch dem ökonomischen Argument, dass sie dort erfolgen sollten, wo die Kosten am niedrigsten seien. Dies deutet zum einen auf eine gewisse Desillusionierung der Ökonomenzunft über Kompensationsmassnahmen im Ausland hin. Zum anderen wurde aber auch argumentiert, dass die Energiesicherheit steige, wenn man sich von importierten fossilen Energien weniger abhängig mache.
Fragt man Volkswirtschafter, auf welche Instrumente man im Klimaschutz setzen sollte, stechen zwei hervor: Abgaben und Emissionszertifikate. Letztere muss heute in der EU jeder kaufen, der in bestimmten Industriebranchen eine Tonne CO₂ ausstossen will.
Eine relative Mehrheit der Befragten hält beide Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel für ebenbürtig. Eine grosse Gruppe zieht indes Abgaben gegenüber Zertifikaten vor. Dies könnte mit der «doppelten Dividende» zu tun haben, die man mit diesem Instrument einfahren kann. Was ist damit gemeint? Die Einnahmen aus CO₂-Abgaben lassen sich dazu verwenden, verzerrende Steuern etwa auf Löhnen zu reduzieren. Damit erzielt man neben einer Klima- eben auch eine wirtschaftliche Dividende – die Motivation, zu arbeiten, steigt.
Kaum Bauchweh wegen Klimazöllen
Der Emissionshandel in der EU und der Schweiz umfasst heute Teile der Industrie und des Flugverkehrs und deckt 40 Prozent des Ausstosses ab. Fast 80 Prozent der Antwortenden fordern nun, dass die Abdeckung auf weitere Wirtschaftsbereiche ausgedehnt werde. Die EU plant ab 2027 denn auch einen separaten Emissionshandel für den Gebäudebereich und den Verkehr. Das ist zwar nicht perfekt, weil ein einziges Handelssystem für alle Sektoren besser wäre, aber es geht in die richtige Richtung.
Die grösste Überraschung der Umfrage ist allerdings die grosse Sympathie der Ökonominnen und Ökonomen für Klimazölle. Zölle verteuern die Produkte und schaden dem Konsumenten, weshalb ihr weitgehender Abbau in den letzten Jahrzehnten als grosse Errungenschaft gilt. Ist das plötzlich alles vergessen? Die Idee hinter Klimazöllen ist, dass Firmen aus Ländern, die keine Klimapolitik verfolgen, gegenüber Schweizer Unternehmen keinen Kostenvorteil haben.
Deshalb, so die Theorie, könnte man den CO₂-Ausstoss von Produkten aus solchen Ländern mit einer Abgabe belasten, die beim Übertritt in die Schweiz abgeliefert werden müsste. Damit wären die Spiesse für alle wieder gleich lang, so die Argumentation. Die EU will eine Abgabe auf CO₂-Emissionen für importierten Stahl, Zement, Aluminium, Dünger, Wasserstoff und Elektrizität einführen.
Klar gegen Subventionen für Exporteure
Die Gefahr, dass hier Protektionismus im grünen Mäntelchen gemacht wird und darunter der Welthandel leiden wird, sieht das Gros der befragten Ökonomen offenbar nicht. Vielleicht haben die Umfrageteilnehmer bei ihren Antworten auch an einen Klimaklub gedacht, wie ihn der Wirtschaftsnobelpreisträger William Nordhaus vorschlägt. Darin würden sich gleichgesinnte Staaten, also etwa die USA und die EU, zusammenschliessen und gegenüber Dritten einen Klimazoll erheben, die sich dem Klub nicht anschliessen wollen. Das Risiko neuer Handelskriege bleibt aber auch bei dieser Lösung bestehen.
Statt Klimazölle könnte man sich auch Subventionen für Schweizer Exporteure vorstellen, die sich auf den Weltmärkten benachteiligt sehen, weil sie in der Schweiz strenge Umweltvorschriften einhalten müssen. Immerhin: Von diesem Griff in den Giftschrank halten die meisten Ökonomen nichts.