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Beim von Boeing und der Nasa entwickelten Versuchsflugzeug X-66A werden die schmalen Tragflächen mit zwei Zusatzstützen versehen, um für Stabilität zu sorgen. Bild: PD

Klima & Energie

Klimafreundlich fliegen: Passagierflugzeuge könnten schon in zehn Jahren ganz anders aussehen

In den USA läuft jetzt ein Wettstreit um das beste Zukunftsdesign für Verkehrsflugzeuge. Nurflügler könnten eine Lösung sein.

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Geforscht wird am Flugzeug der Zukunft schon seit Jahrzehnten, doch am Himmel zu sehen war bisher nichts davon. Mitte August aber liessen zwei Meldungen aus den USA aufhorchen: Die US Air Force vergibt einen 235-Millionen-Dollar-Auftrag an das Startup Jet Zero, den ersten Prototyp eines Blended-Wing-Body-(BWB-)Jets zu bauen, der bis 2027 fliegen soll. Und Boeing hat einen Passagierjet des zweistrahligen Typs MD-90 über 64 Kilometer Luftlinie vom kalifornischen Abstellplatz Victorville zur Nasa nach Palmdale überführt, wo der Umbau zu einem Testflugzeug mit neuartigen Tragflächen stattfindet, Erstflug 2028.

Einer der beiden Prototypen, die hier entstehen, dürfte die lange überfällige Lösung für ein drängendes Problem sein: Wie soll die nächste Generation von umweltfreundlicheren Verkehrsflugzeugen aussehen?

Airbus und Boeing leben seit Generationen gut vom Verkauf ihrer Bestseller A320 (Erstflug 1987) und 737 (Erstflug 1967) und weigern sich seit Jahrzehnten, diese Brot-und-Butter-Flugzeuge durch effizientere Designs zu ersetzen. Ihr Argument: Die nötigen Milliardeninvestitionen würden sich nur lohnen, wenn dafür die Effizienz gegenüber der Vorgängergeneration um mindestens 25 Prozent zu steigern wäre. Und das war etwa wegen fehlender neuer Triebwerktechnologie bis dato nach Ansicht der Hersteller nicht der Fall.

Doch jetzt ändert sich die Lage: «Es gibt gerade von überall Rückenwind, von der Umwelt, der Air Force und der Nasa, und auch technologisch herrscht Rückenwind, der das Ganze jetzt machbar erscheinen lässt, was vorher nicht so war», sagt Barry Ecclestone. «Wenn du etwas hast, von dem du weisst, dass es um 30 bis 50 Prozent besser als die heutigen Produkte wird, warum sollte man es dann nicht tun?», fragt Ecclestone, früher Chef von Airbus Americas und CEO beim Triebwerkhersteller IAE. Derzeit sitzt er im Beratergremium von Jet Zero, die den BWB baut. «Zumal wir sehen, dass Airbus und Boeing nichts tun», so stichelt er gegen seinen früheren Arbeitgeber.

Bis heute ist es üblich, eine Röhre als Flugzeugrumpf zu nehmen, daran Tragflächen und ein Leitwerk zu hängen. Die Idee ist, davon abzuweichen. Beim BWB ist alles Nötige in einem Flügel untergebracht, ohne Rumpf oder Leitwerk – Fliegen im Flügel sozusagen. Der Vorteil: Der gesamte Flugkörper erzeugt Auftrieb. Das Prinzip des BWB ist einfach und in seiner reinsten Form alles andere als neu: Als Nurflüglerkonzept meldete Hugo Junkers es bereits 1910 zum Patent an.

Der Nurflügler soll endlich Wirklichkeit werden

Airbus und Boeing haben sich schon oft mit schicken Grafiken und Modellen von futuristisch aussehenden BWB-Entwürfen geschmückt. Ein solches Flugzeug in Originalgrösse gebaut haben sie nie, stattdessen die Idee «zu Tode geforscht», wie Kritiker monieren. Noch 2020 stellte Airbus einen Entwurf für einen neuen, kleineren BWB mit Wasserstoffantrieb vor, im Rahmen des Zero-E-Programms für emissionsfreie Flugzeuge.

Immer wenn Politiker auf Luftfahrtmessen publikumswirksam an die Herstellerstände kommen, stand da bei Airbus in letzter Zeit ein prominent platziertes BWB-Modell. Obwohl längst völlig klar ist: «So, wie es hier aussieht, wird es nie fliegen. Es wäre zu viel, gleichzeitig eine völlig neue Aerodynamik und einen Wasserstoffantrieb zu entwickeln», gestand ein führender Airbus-Ingenieur der NZZ bereits 2022. «Aber der BWB ist sexy, darum steht da immer das Modell.» Dabei wäre dieses Flugzeugkonzept tatsächlich gut geeignet für Wasserstoffantrieb.

Doch nun wird der erste BWB in den USA von Jet Zero für die Luftwaffe gebaut. Mit grossen Hoffnungen, auch was den zivilen Markt betrifft, aber konventionell angetrieben und zunächst nur mit nachhaltigem Kerosin (SAF) als Energiequelle.

Kleine und grosse Prototypen von Nurflüglern wurden bereits in den 1930er Jahren entwickelt, vor allem für die militärische Nutzung. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs gab es verschiedene Prototypen für Nurflügel-Bomber, etwa in Deutschland ab 1944 die Horten Ho 229 als erste mit Jet-Antrieb. Der heute bekannteste, von 1988 bis 1997 in Serie produzierte Nurflügler ist der B-2-Tarnkappenbomber der USA, der die Form eines Fledermausflügels hat.

Daraus abgewandelt wurde eine Zwischenstufe zum konventionellen Flugzeug, der Blended Wing Body, das heisst übersetzt etwa «übergangslose Flügel-Rumpf-Verbindung». Die Firma Northrop baut bereits seit den 1940er Jahren militärische Nurflügler, darunter die B-2 sowie ihren demnächst erstmals abhebenden Nachfolger B-21. Sie soll nun auch für Jet Zero den BWB-Prototyp Jet Zero Z-5 bauen. Die Air Force hätte ihn gern als Tank- und Transportflugzeug der nächsten Generation. Sie besteht aber darauf, dass Jet Zero ihn auch auf dem zivilen Markt anbietet, um damit die Produktionszahlen zu steigern und so die Betriebskosten für jede einzelne Maschine zu senken.

Dieses Entwicklungsmodell ist bewährt – vom Pentagon finanzierte militärische Innovationen haben in den USA schon oft für revolutionäre Zivilflugzeuge gesorgt. In den 1950er Jahren wurde aus dem Tankflugzeug KC-135 der erfolgreichste Jetliner der ersten Generation, die Boeing 707. In den späten 1960er Jahren entstand aus dem unterlegenen Boeing-Design für einen Militärtransporter die legendäre Boeing 747.

 Bis zu 80 Prozent weniger Emissionen sollen möglich sein

Die Z-5 helfe der nationalen Sicherheit und sei ausserdem nachhaltig und ökonomisch, heisst es im amerikanischen Fachblatt «Aviation Week». Seinen Schätzungen nach könnte das Auftrieb erzeugende Design den Spritverbrauch um mindestens 30 bis 40 Prozent senken. «Gekoppelt mit SAF könnte der CO2-Ausstoss um bis zu 80 Prozent fallen», mutmasst das Blatt. Gleichzeitig könnte durch die Anbringung der Triebwerke auf der Oberseite des Rumpfes, abgeschirmt vom Boden, eine deutliche Reduzierung des Fluglärms um 15 dB und mehr erreicht werden.

Der aus Verbundwerkstoff gefertigte Nurflügler verfügt in der zivilen Version über nur ein Passagierdeck für etwa 250 Fluggäste, die rund 9300 Kilometer weit befördert werden können. Für ein Verkehrsflugzeug sind es neue Dimensionen – die Tragflächen bringen es auf eine Spannweite von fast 61 Metern, ähnlich wie bei einem Grossraumflugzeug des Typs Airbus A330.

Dabei wird die Z-5 wesentlich kürzer als heutige Langstreckenjets, sogar kürzer als die Boeing 767 mit ihren 55 Metern. «Sie wird nur etwa die Hälfte wiegen und nur halb so viel Energie brauchen wie Flugzeuge, die sie ersetzt, etwa die Boeing 767», heisst es bei Jet Zero.

Auch das von der Air Force zu ersetzende Tankflugzeug ist eine militärische Version der 767 – die Z-5 könnte als fliegende Tankstelle doppelt so viel Flugbenzin befördern. Diese günstigen Eigenschaften ermöglichen es ihr, mit Ableitungen von vorhandenen Getriebefan-Triebwerken wie dem CFM Leap 1 oder dem Pratt & Whitney PW1100G zu fliegen, die sonst kleinere Schmalrumpfflugzeuge wie die A320 antreiben.

Der BWB von Jet Zero wird überhaupt überwiegend mit konventionellen Systemen ausgestattet sein. Das macht die Entwicklung einfacher, schneller und billiger. Zunächst wird schon bald ein Modellflugzeug für Tests genutzt, das nur 12,5 Prozent der Originalgrösse erreicht, aber immerhin noch 7 Meter Spannweite aufweist.

Dabei sollen die aerodynamische Konfiguration und vor allem ein neues Fahrwerk-Design erprobt werden. Dahinter steckt der Mitgründer Mark Page, der bereits in den 1980er Jahren die Forschungen an einem BWB beim damaligen Hersteller McDonnell Douglas (später von Boeing übernommen) wieder aufnahm und das Konzept seither stetig weiterentwickelt hat.

Das Bein des schwenkbaren Bugfahrwerks wird zum Start um fast einen Meter verlängert. Damit lassen sich der Anstellwinkel des Riesenflügels um etwa 6 Grad erhöhen und so der Auftrieb zum Abheben vergrössern und die Stabilität verbessern. Dies wiederum ermöglicht eine niedrigere Startgeschwindigkeit mit weniger Triebwerksschub, was die Effizienz erhöht und den Verzicht auf komplexe Auftriebshilfen im Klappensystem erlaubt.

Auch dass die Empfindungen der Passagiere bei den BWB-Entwürfen stets berücksichtigt werden, ist Teil des Plans. Anders als bei bisherigen Konzepten wird es sogar Kabinenfenster geben – vorn an den Seiten zumindest – und sogenannte Skylight-Windows oben auf dem Rumpf über den anderen Teilen der Kabine, die in den Himmel schauen. «Eine Reiseerfahrung ähnlich wie im A380», verspricht der Hersteller.

Solchen Verheissungen skeptisch gegenüber steht Dieter Scholz, der als Professor für Flugzeugentwurf an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg seit Jahrzehnten an BWB-Entwürfen forscht. «Angeblich lassen sich beim Verbrauch bis zu 50 Prozent einsparen, aber das glaube ich nicht. Bei den üblichen Parametern ist beim BWB eine Steigerung der aerodynamischen Effizienz von 15 Prozent und damit eine gleich grosse Verbrauchssenkung zu erwarten. Als Passagierflugzeug ergibt der BWB keinen Sinn», so sein klares Urteil.

Als Alternative gilt der Schmalflügler mit Stützen

In der Tat ist noch nicht klar, ob der fliegende Riesenflügel wirklich das Flugzeugdesign der Zukunft für den Passagierverkehr darstellt. Die Nasa und Boeing setzen gerade auf ein ganz anderes Konzept für mehr Nachhaltigkeit. Es heisst Transonic Truss-Braced Wing (TTBW) – zu Deutsch etwa «Flugzeug mit abgestrebtem Flügel» für Geschwindigkeiten um die Schallgrenze herum, also von Mach 0,8 bis Mach 1,2. Dem Testflugzeug wurde jetzt das Kürzel X-66A verliehen. Damit reiht es sich ein in die Gruppe der berühmten «X-Plane»-Experimentalmaschinen. Schon 2028 oder 2029 soll es abheben.

Die Hoffnung ist gross, dass die X-66A in den späten 2030er Jahren als Verkehrsflugzeug der Zukunft in Serie gehen könnte. Dazu wird derzeit eine 1995 gebaute, früher von Delta Air Lines betriebene McDonnell Douglas MD-90 stark modifiziert. Cockpit und T-Leitwerk werden übernommen. Ganz neu ist, dass die Tragflächen extrem lang und dünn gebaut werden – das erzeugt weniger Widerstand als früher. Die Spannweite liegt bei 44 Metern, das sind etwa 50 Prozent mehr als bei einem konventionellen Verkehrsflugzeug vergleichbarer Grösse.

Um diese Form strukturell zu ermöglichen, werden unten im Rumpf verankerte Streben, die ihrerseits Auftrieb erzeugen, jeweils unter der Mitte der Tragflächen verlaufen. Das Tragflächendesign allein soll rund 10 Prozent Treibstoff einsparen. Zusammen mit anderen aerodynamischen Verbesserungen sowie neuen Triebwerkkonzepten wie dem «open rotor» könnte die X-66A bis zu 30 Prozent effizienter als heute gängige Jets sein.

Sie wird in einer Zweiklassenkabine 154 Passagiere befördern und zunächst von zwei PW1000G-Turbofans von Pratt & Whitney angetrieben, die nahe am Rumpf unter den Tragflächen angebracht sind. Später sollen auch Open-rotor-Antriebe daran getestet werden, mit aussen rotierenden Triebwerksschaufeln. «Diese Flügeltechnologie, verbunden mit den Triebwerken, die daran hängen, erlaubt uns, grössere Effekte der Tragflächen-Aerodynamik zu nutzen», sagt der Boeing-CEO Dave Calhoun. «Wir sind fest davon überzeugt, dass wir in diesem Versuchsflugzeug die Technologien für die nächste Flugzeuggeneration zusammenbringen können.»

Und auch Dieter Scholz ist überzeugt: «Der TTBW hat grosses Potenzial, vor allem, wenn die Spannweite noch weiter erhöht wird, idealerweise in dieser Klasse auf 52 Meter.» Der Sprung vom Heute ins Morgen wäre kleiner als beim BWB, denn im TTBW sitzen die Passagiere immer noch in einer Röhre.

Er äussert aber auch Bedenken: «Die Flughäfen mögen so etwas gar nicht, wenn Massen dieser ausladenden Flugzeuge ihnen den Platz an den Gates wegnehmen, der eigentlich für grössere Jets gedacht ist. Das wird eng», prophezeit der Wissenschafter.

Andreas Spaeth, «Neue Zürcher Zeitung» (04.09.2023)

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