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Erst im Herbst wird sich zeigen, ob die Kartoffeln faul sind. Bild: Imago

Produktion & Konsum

Wegen des Regens: Kartoffeln drohen auf den Feldern zu verfaulen

Die Bauern leiden unter den Wetterextremen. Die Kartoffel-Lobby hofft auf das Ende des Gentech-Moratoriums.

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Die Kartoffelbauern erleben bange Zeiten. Dieser Tage brennt die Sonne auf die Äcker nieder. Doch der anhaltende Regen hat den Kartoffeln teilweise zugesetzt. «Hält das nasse Wetter an, drohen die Knollen im Boden zu verfaulen», sagt Niklaus Ramseyer. Er betreibt mit seinem Bruder einen Hof in Schüpfen im Kanton Bern und ist der Geschäftsführer der Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten. Die Ernte im Herbst erwartet er mit Spannung: «Dann werden wir sehen, wie die Kartoffeln sich präsentieren.»

Die Kartoffelbauern erleiden gerade das vierte schwierige Jahr. In den vergangenen Sommern setzte ihnen die Hitze zu. Dieses Jahr macht ihnen der Regen zu schaffen. Eigentlich ist das feuchte Klima ein Vorteil: «Die Kartoffeln haben das gern», sagt Ramseyer. Aber leider auch die Pilze, insbesondere die Kraut- und Knollenfäule. Sie überzieht die Pflanzen mit einem weissen Film und kann innert weniger Wochen ganze Felder vernichten. Dieses Jahr sei die Krankheit «extrem aggressiv», sagt Ramseyer, «so schlimm hatten wir es schon lange nicht mehr».

Die potenziellen Schäden für die Bauern sind gross. Sie müssen Ernteausfälle vollumfänglich selbst berappen, pro Feld investiert ein Bauer im Schnitt 10 000 Franken. Zwar gibt es mittlerweile neue Versicherungsmodelle. Diese decken auch Verluste aufgrund von Wetterextremen im Kontext des Klimawandels, beispielsweise wenn Pflanzen in heissen Sommern vertrocknen. Doch Pilzbefall ist nicht dabei.

Der Bund hat den Bauern erlaubt, aufgrund des Pilzbefalls mehr Pflanzenschutzmittel einzusetzen, vielerorts sähen die Felder deshalb gut aus, sagt Ramseyer. Gerade im biologischen Anbau rechnet er aber mit hohen Ausfällen. Bio-Landwirte setzen Kupfer gegen den Pilz ein, welches weniger effektiv sei als herkömmliche Pestizide.

Hoher Selbstversorgungsgrad

Die Schweiz ist ein Kartoffelland, der Schweizer isst im Schnitt 45 Kilogramm pro Jahr. Die Produzenten streben einen Eigenversorgungsgrad von 90 Prozent an. Über die gesamte Landwirtschaft betrachtet, beträgt der Eigenversorgungsgrad nur 52 Prozent. Doch die Wetterextreme erschweren die Arbeit der Kartoffelbauern, einige Betriebe haben deshalb aufgegeben. Im Jahr 2004 produzierten 9314 Bauern auf 13 333 Hektaren 527 000 Tonnen Kartoffeln. Im Jahr 2022 waren es noch 4016 Landwirte, die auf 10 749 Hektaren 382 029 Tonnen Kartoffeln ernteten, heisst es im Jahresbericht 2023. Der Selbstversorgungsgrad in den Extremwetterjahren betrug rund 70 Prozent statt der angestrebten 90.

Der Rückgang an Kartoffelbauern hat auch damit zu tun, dass weniger Betriebe Kartoffeln als Futter für ihre Tiere produzieren. Dennoch ist es aus Sicht der Vereinigung der Kartoffelbauern wichtig, den bestehenden Betrieben Sorge zu tragen, damit sie weiterhin Kartoffeln anbauen. Dafür zählt er auch auf die Politik.

So fordert Niklaus Ramseyer erstens gute Rahmenbedingungen bei den Pflanzenschutzmitteln. Kein Bauer setze die teuren Mittel mit Freude ein, doch sie seien existenziell, wie die gegenwärtige Situation zeige, sagt er. Gleichzeitig sei der politische Druck auf die Bauern konstant hoch: Die Bevölkerung hat zwar die Pestizidinitiative abgelehnt, dennoch hat die Landwirtschaft aufgrund des Absenkpfades für Pflanzenschutzmittel oder durch Verbote von Wirkstoffen einige Mittel verloren. Dies zum Schutz des Grundwassers, der Flüsse und Seen sowie von Insekten und Boden. «Weitere Verbote ohne Alternativen können wir uns nicht leisten», sagt Ramseyer.

Zweitens setzen die Kartoffelproduzenten auf widerstandsfähige Kartoffeln. Dafür probieren sie neue Sorten und Züchtungsmethoden aus. Grosse Hoffnung liegt dabei auf der sogenannten Crispr/Cas-Technologie. Mittels Genschere sollen Kartoffelsorten resistente Eigenschaften anderer Kartoffelsorten ins Erbgut eingepflanzt werden. Im Gegensatz zu früheren Gen-Editierungen soll bei Crispr/Cas also kein artfremdes Gen in das Erbgut einer Nutzpflanze eingefügt werden.

Ramseyer hofft auf Kartoffeln, welche beispielsweise besser gegen Pilze gewappnet sind und daher weniger Pflanzenschutzmittel erfordern. Auf dem herkömmlichen Weg dauert das Züchten neuer Sorten 10 bis 15 Jahre, mittels Genschere geht es deutlich schneller.

Voraussetzung ist eine Liberalisierung der gesetzlichen Grundlagen. 2026 läuft das Gentech-Moratorium aus. Der Bundesrat will in Zukunft Landwirtschaft mittels Genscheren-Technologie ermöglichen und dem Parlament bis Mitte 2025 eine Botschaft überweisen. Widerstand haben Organisationen wie Bio Suisse, der Verein für gentechnikfreie Lebensmittel oder die Kleinbauern-Vereinigung angekündigt. Sie fordern unter anderem strikte Deklarationsvorschriften für gentechnisch veränderte Lebensmittel und wollen diesen Herbst eine entsprechende Initiative lancieren.

Schweizer wanderten aus

Die Kraut- und Knollenfäule ist nicht neu. In den 1840er Jahren vernichtete sie rund die Hälfte der europäischen Kartoffelernte. Sie trieb viele Schweizerinnen und Schweizer in die Armut und zwang sie, auszuwandern. Am härtesten traf es Irland: In der Hungersnot von 1845 bis 1849 starben eine Million Menschen, rund 12 Prozent der Bevölkerung. Heutzutage ersetzt die kaufkräftige Schweiz Ernteausfälle mit Importen. Entsprechend entspannt gibt sich Zweifel. «Wir bleiben zuversichtlich und warten die Ernte ab», sagt die Mediensprecherin Anita Binder. Wenn möglich, bezieht der Chipshersteller alle seine Kartoffeln von Schweizer Bauern. Konsumenten können mittels eines QR-Codes auf der Chipspackung nachverfolgen, welcher Landwirt beteiligt war. Im vergangenen Jahr musste die Firma jedoch 15 Prozent der benötigten Kartoffeln aus Deutschland, Frankreich und Holland importieren.

Auch die Migros verkauft durchschnittlich bis zu 95 Prozent Schweizer Kartoffeln, den Rest importiert sie aus Zypern, Spanien oder Ägypten, wie eine Sprecherin auf Anfrage schreibt. Diesen Frühling sind die Importpreise gestiegen, entsprechend haben auch die Konsumenten mehr bezahlt. Ausserdem senkt die Migros im Notfall auch die Anforderungen ans Produkt und verkauft Gemüse, das nicht den heutigen Schönheitsstandards entspricht.

Das Leid der Bauern bei den Kartoffeln zeigt, wie volatil der Selbstversorgungsgrad der Schweiz im Allgemeinen ist. Unter dem Strich gehört das Land zu den grössten Nettoimporteuren von Lebensmitteln der Welt, anders als etwa Deutschland oder Frankreich, die sich nahezu selbst ernähren können. Der Schweizerische Bauernverband kritisiert die Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland schon lange. Diese dürfe nicht weiter wachsen. Der Schutz der eigenen Produktionsflächen und der einheimischen Landwirtschaft sei bedeutsam «für die Ernährungssicherheit» und die Umwelt, schrieb er vor rund zehn Tagen in einer Medienmitteilung.

Allerdings ist die Selbstversorgung nicht nur teuer, sondern in einem kleinen Land mit wachsender Bevölkerung auch schwierig. Die Bauern sind selbst auf das Ausland angewiesen, etwa für Saatgut oder Kunstdünger, insbesondere aber auch in Bezug auf Futtermittel. Würde sich die Schweiz vollkommen autark ernähren und ganz auf Importe in der Landwirtschaft verzichten, ist fraglich, ob noch viel Fleisch oder Käse auf den Teller käme.

Andrea Fopp, «Neue Zürcher Zeitung» (19.07.2024)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

2 - Kein Hunger
12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion
15 - Leben an Land

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