So weit die erfreulichen Nachrichten aus der Welt der Energiewende. Die Investitionen müssten laut BNEF jedoch zwischen 2024 und 2030 im Durchschnitt 4,8 Billionen Dollar pro Jahr betragen, um netto null Emissionen zu erreichen. Das ist fast das Dreifache der Rekordzahlen vom letzten Jahr – und illustriert das Dilemma der gegenwärtigen Energiewende.
Einerseits nähmen die Möglichkeiten für saubere Energie immer weiter zu, gleichzeitig zeigten die Daten jedoch auch, «wie weit wir noch vom Ziel entfernt sind», sagt Albert Cheung, der stellvertretender CEO von BNEF. Es liege jetzt an Politikern und Entscheidungsträgern, die notwendigen Weichen zu stellen.
An der Klimakonferenz, die im Dezember in Dubai stattfand, einigten sich Regierungen darauf, die Kapazität erneuerbarer Energien weltweit bis 2030 zu verdreifachen (sowie die Energieeffizienz zu stärken). Dieses Ziel ist laut Analysen umsetzbar – unter gewissen Bedingungen.
Erneuerbare Energien bedrängen schon heute die Vormachtstellung der fossilen Brennstoffe in der Stromproduktion, die Kosten für Solar-, Wind- und Batterietechnologien fallen dramatisch, der Verkauf von Elektroautos beschleunigt sich weltweit. Erneuerbare Energien werden laut den jüngsten Prognosen der Internationalen Energieagentur Anfang 2025 die Kohle überholen und mit einem Anteil von über einem Drittel zur weltweit grössten Energiequelle für die Stromerzeugung werden.
Die Umsetzung der Klimaziele, zu denen sich Regierungen in Dubai durchgerungen haben, wird jedoch sehr viel mehr Geld und politische Unterstützung erfordern, um die bestehenden regulativen und strukturellen Herausforderungen zu überwinden. Dazu gehören beschleunigte Genehmigungsprozesse, der Zugang zu Kapital und der Bau neuer Infrastruktur.
Gleichzeitig zeichnet sich schon heute ein grosses Ungleichgewicht ab, mit weitreichenden Folgen für die zukünftige Entwicklung der Energiewende: So geht der Ausbau erneuerbarer Energien in China, den USA und der EU rasch voran. Im Rest der Welt – in vielen Schwellenländern, besonders auf dem afrikanischen Kontinent – hinkt er jedoch stark hinterher.
Das ist ein Problem für die internationale Klimabilanz und die Umsetzung des Pariser Abkommens. Denn Emissionen und die Energienachfrage steigen in den Schwellenländern, während sie in Industriestaaten fallen.
Vorreiter und Nachzügler: Wer investiert in die Erneuerbaren?
Im regionalen Wettrennen um die höchsten Investitionen in grüne Energietechnologien gibt es einen klaren Gewinner: China. Mit knapp 700 Milliarden gibt der weltweit grösste Verursacher von Treibhausgasemissionen mehr Geld für die Energiewende aus als jedes andere Land. Die Summe stellt rund 40 Prozent der weltweiten Gesamtinvestitionen dar. Darauf folgen die EU und die USA mit Investitionen von über 300 Milliarden Dollar. Interessant dabei ist, dass die Investitionen in beiden Regionen sehr viel schneller stiegen als in China.
Aufgrund des Investitions- und Subventionsprogramms der Inflation Reduction Act holen die USA auf, der Abstand zu China verringert sich zusehends. An dritter Stelle folgt Deutschland (auch dank starken Investitionen in die Elektromobilität). Rechnet man die Investitionen der EU als Ganzes zusammen, schlägt die EU mit 341 Milliarden die USA.
Auch Brasilien und Indien gehören zu den führenden Märkten – und das in einem Jahr, in dem beiden Ländern eine Schlüsselposition in der internationalen Klimapolitik zukommt. Brasilien hat Ende des vergangenen Jahres den Vorsitz der G-20-Staaten von Indien übernommen und richtet im kommenden Jahr die Weltklimakonferenz aus. Die Regierungen beider Länder sind laute Wortführer der Entwicklungsländer in den Klimaverhandlungen und in anderen multilateralen Foren.
Beide wollen sicherstellen, dass die Energiewende ihre wirtschaftlichen Interessen und Entwicklungsprioritäten fördert – und fordern entsprechende Unterstützung der Industriestaaten, Zugang zu Technologien ebenso wie finanzielle Unterstützung. Indien, das bevölkerungsreichste Land der Welt, benötigt laut BNEF-Hochrechnungen jährlich 295 Milliarden Dollar an Investitionen in die Energiewende bis 2030. Das ist mehr als das Neunfache im Vergleich zu den 31 Milliarden Dollar von 2023.
Die EU prescht vor
Der weltweite Wettbewerb um die Vormachtstellung auf den grünen Märkten geht derweil kommende Woche in eine neue Runde. Brüssel plant, seine Vorschläge für ein neues EU-weites Klimaziel für 2040 zu veröffentlichen. Darin wird die Europäische Kommission wohl um eine Emissionsreduktion von 90 Prozent werben, laut einem Entwurf, den die NZZ schon vorab einsehen konnte.
Das bedeutet viele zusätzliche Milliarden an neuen Investitionen in erneuerbare Energien, in Batterien, Wasserstoff, Atomkraft und andere grüne Energietechnologien, Stromleitungen, Ladeinfrastruktur, neue Produktionsstätten, Fabriken und Minen für die benötigten Rohstoffe.
Brüssel rechnet laut Berichten ab 2031 mit notwendigen Investitionen in Höhe von etwa 1,5 Billionen Euro pro Jahr, um die Treibhausgasemissionen bis zur Jahrhundertmitte auf netto null zu senken. Zum Vergleich: Um das EU-Klimaziel für 2030 zu erreichen und Emissionen um 55 Prozent zu reduzieren, schätzte Brüssel bisher die erforderlichen – zusätzlichen – Investitionen auf 360 Milliarden jährlich. Das würde laut der Denkfabrik Bruegel die benötigten Investitionen schon in dieser Dekade insgesamt auf über 1 Billion Euro pro Jahr anheben.
Politisch werden die neue Zahlen angesichts angespannter Budgets und der geopolitischen Lage in der europäischen Nachbarschaft sicherlich schwer zu verdauen sein. Beamte und Politiker in Brüssel passen ihre Botschaften entsprechend an. Sie setzen nun darauf, die Wettbewerbsvorteile der Energiewende zu unterstreichen. Dazu gehören auch Einsparungen in Milliardenhöhe bei den Importen fossiler Brennstoffe und sicherheitspolitische Bedenken.