«Ein Gebiet von diesem Wert ist nicht ersetzbar», sagt Daniel Rüetschi, Biologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Pro Natura Basel: «Es ist nicht so, dass wir gerne vor Gericht ziehen. Doch wollen wir Anwälte der Natur sein, dann sind wir hier zu einem Rechtsverfahren gezwungen.»
Im vergangenen September hat das Bundesamt für Verkehr dem Gateway Basel Nord die Baubewilligung für die erste Ausbaustufe erteilt. Diese beinhaltet das Umladen von internationalen auf nationale Güterzüge sowie von der Bahn auf die Strasse. Der Ausbau des Hafens, der grösste Eingriff vor Ort, gehört nicht in diese erste Ausbaustufe und ist noch nicht bewilligt. Im vorangegangenen Genehmigungsverfahren ging es vor allem um die Frage, welche Ersatzflächen die Überbauung der Trockenwiese kompensieren. Nach Vorschlag der Gateway Basel Nord AG kämen diese neu in Form von kleineren Flächen über die Region verteilt zu liegen, die zusammengezählt eine grössere Fläche als bisher ergeben.
Pro Natura und andere Umweltorganisationen haben gegen diese Plangenehmigung Beschwerde eingereicht. Das Hauptargument: Ohne den Hafen ist das neue Terminal nicht an diesen Standort gebunden, es könnte irgendwo stehen und muss nicht die Existenz einer geschützten Trockenwiese von nationaler Bedeutung bedrohen. Nun muss das Bundesverwaltungsgericht über die Frage «Klimaschutz oder Naturschutz?» entscheiden.
Klima und Biodiversität beeinflussen sich gegenseitig
Klima und Natur werden immer wieder gegeneinander ausgespielt. Nicht nur beim Badischen Bahnhof in Basel. Das geschieht beispielsweise auch beim Bau neuer Wasser-, Wind- oder Solarkraftwerke in den Bergen. Die Frage, was wichtiger ist, lässt sich nicht beantworten. Und doch hat meist die Natur das Nachsehen. Darum sehen sich Umweltorganisationen wie Pro Natura gezwungen, sich für diese Seite einzusetzen. Doch eigentlich sagt der Biologe Daniel Rüetschi: «Die eine Krise ohne die andere zu lösen, geht nicht. Es sind Zwillingskrisen, die sich gegenseitig verursachen, bedingen und zur Folge haben. Auch wenn wir die Lösung für eine Krise finden, hat die andere noch immer das Potenzial, die menschliche Zivilisation auszulöschen. Wir brauchen Massnahmen für beide gleichzeitig.»
Eine der grössten Bedrohungen für die Biodiversität ist der menschengemachte Klimawandel. Wird es schnell wärmer, verschwinden kälteliebende Tiere und Pflanzen – eine von zehn Arten dürfte bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad aussterben. Doch umgekehrt besteht ebenso ein Zusammenhang: Der Verlust der Artenvielfalt verstärkt den Klimawandel. Je einfältiger Wälder und andere Ökosysteme werden, desto mehr verlieren sie ihre Fähigkeit, sich selbst zu schützen, desto eher fallen sie grossen Bränden zum Opfer, was das Klima zusätzlich erhitzt. Oder je mehr diversen Regenwald wir für Viehweiden und Sojaplantagen abholzen, desto mehr nimmt seine Fähigkeit ab, als Temperatur- und Feuchteregulator zu wirken. Was die Klimasysteme der ganzen Welt beeinflusst.
Es geht bei dem Versuch, den Verlust der Biodiversität zu reduzieren, also um die Rettung unserer Lebensgrundlage. Dass der Naturschutz im Vergleich mit dem Klimaschutz meist Zweiter macht, hat damit zu tun, dass sein Wert auf den ersten Blick kaum sichtbar ist. «Dass es heisser wird, hat bald jeder gemerkt», sagt der Pro-Natura-Biologe Daniel Rüetschi, «dass das Autofenster nicht mehr voller Mücken ist wie früher, ist ein schleichender Prozess – und eigentlich ganz praktisch.»
Rüetschi vergleicht den Verlust der Biodiversität mit dem Geschicklichkeitsspiel Jenga: Aus dem Turm aus Holzklötzchen ziehen wir Bausteine. Übertragen auf die Biodiversität, ist jedes entfernte Holzklötzchen eine Tier- oder Pflanzenart, die ausstirbt. Das geht lange gut. Doch irgendwann ziehen wir das eine Klötzchen zu viel aus dem Jenga-Turm – so können ganze Lebensräume zusammenbrechen, und zwar sehr schnell. In der Natur nennt man diese relevanten Bausteine «keystone species», Schlüsselarten. Ihr Verlust verändert alles.
Ist der Alexis-Bläuling, der kleine, blaue Schmetterling, eine Schlüsselart? Kann er einen Güterzug stoppen? Den Klimaschutz gegen den Biodiversitätsschutz auszuspielen, kann nicht im Sinne der Gesellschaft sein. Und doch ist es im Beispiel Badischer Bahnhof das Gericht, das Gewinner und Verlierer bestimmen muss. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird spätestens im nächsten Jahr erwartet. Beide Parteien – die Gateway Basel Nord AG und Pro Natura Basel – gehen davon aus, dass jeweils ihre Argumente überzeugen.