Energieträger ohne Emissionen
Geht es um eine nachhaltige Zukunft, geniessen Wasserstoff und andere erneuerbare Gase bisher wenig Beachtung. Wie gross ihr Potenzial ist, zeigen mehrere innovative Projekte in der Westschweiz auf.
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Unterhalb der Staumauer des Wasserkraftwerks Schiffenen baut der Energieversorger Groupe E zwei Elektrolyse-Anlagen zur Gewinnung von grünem Wasserstoff. Foto: Stemutz
Geht es um eine nachhaltige Zukunft, geniessen Wasserstoff und andere erneuerbare Gase bisher wenig Beachtung. Wie gross ihr Potenzial ist, zeigen mehrere innovative Projekte in der Westschweiz auf.
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6 Min. • • Marius Leutenegger, Sustainable Switzerland Editorial Team
Die Schweiz will bis 2050 klimaneutral werden. Das bedingt unter anderem, fossile Energien durch CO₂-neutrale Alternativen zu ersetzen. Nur selten wird in diesem Zusammenhang über Wasserstoff und andere erneuerbare Gase gesprochen. Die Energieperspektive des Bunds geht davon aus, dass diese Energieform bis 2050 etwa drei Prozent des Schweizer Bedarfs decken wird. Es gibt jedoch auch weniger konservative Einschätzungen. Wasserstoff und erneuerbare Gase haben den Vorteil, dass sie flexibel einsetzbar sind. Zurzeit finden sie vor allem in der Industrie Verwendung in der Langstrecken- und Schwermobilität steckt die Entwicklung noch in den Kinderschuhen. Wasserstoff kann aber auch als Wärmequelle dienen oder zur Stromspeicherung – ein wichtiges Thema bei der künftigen Energieversorgung – verwendet werden. Weltweit wurden 2022 rund 95 Millionen Tonnen Wasserstoff produziert, grossmehrheitlich für die Industrie – allerdings auf der Basis fossiler Brennstoffe, was zu hohen Emissionen führt. Pro produzierter Tonne Wasserstoff entstehen fast neun Tonnen CO₂-Emissionen. Um Wasserstoff als nachhaltigen Energieträger der Zukunft etablieren zu können, muss er CO₂-neutral produziert werden, also mithilfe erneuerbarer Energien. Die Europäische Union treibt die Entwicklung von grünem Wasserstoff voran, und auch in der Schweiz zeigen diverse Projekte, welches Potenzial in diesem Gas steckt. Ein Hotspot ist die Westschweiz.
Grüner Strom vom Kraftwerk
In Schiffenen (FR) zum Beispiel hat der Energieversorger Groupe E im Oktober 2023 die erste Wasserstoffproduktion der Westschweiz eingeweiht. «Das Ziel ist es, erneuerbaren Wasserstoff zu produzieren », sagt Laurent Ducrest, Leiter thermische Stromerzeugung und Umwelt bei Groupe E. Dazu benötigt man grünen Strom – im Fall von Schiffenen stammt er aus der Restwasserturbine des Kraftwerks –, mit dem man aufbereitetes Wasser per Elektrolyse in seine Bestandteile zerlegt und daraus Wasserstoff gewinnt. Dieser wird anschliessend für den Transport verdichtet. In Schiffenen stehen zwei identische Elektrolyse-Anlagen in Schiffscontainern gleich unterhalb der Staumauer des Wasserkraftwerks. Das für den Prozess nötige Wasser stammt derzeit noch aus dem Netz, weil es eine höhere Qualität hat als das Wasser aus dem Stausee. «Wir wissen aber mittlerweile, dass unsere Technologie auch mit Seewasser funktioniert, und werden in Zukunft darauf umstellen», sagt Laurent Ducrest. Der Wasserstoff wird anschliessend bis zur Abfüllung in neun Hochdruckspeichern gelagert. «Sie fassen um die 400 Kilogramm – rund die Hälfte unserer Tagesproduktion», so Ducrest. Der Nutzwert von einem Kilogramm Wasserstoff entspricht dem von etwa 2,8 Litern Benzin. Den produzierten Wasserstoff will Groupe E vor allem der Industrie und der Schwermobilität zur Verfügung stellen. Für den Experten ist klar, dass grüner Wasserstoff einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten wird. «Ein Beispiel: Die Produktion von künstlichen Treibstoffen benötigt Kohlenstoff und Wasserstoff», erklärt er. «Wenn man Kohlenstoff aus der Industrie gewinnen und mit grünem Wasserstoff kombinieren würde, könnte man daraus nachhaltige Synfuels herstellen.»
Foto: Alessandro Della Bella
Innovation Lab des Energieversorgers Gaznet in Aigle.
Anlagen direkt beim Kunden
Einen anderen Ansatz verfolgt Gruyère Hydrogen Power (GHP), eine Tochtergesellschaft von Gruyère Energie, seit einigen Monaten in Bulle (FR): Statt grünen Wasserstoff zu produzieren und ihn über weite Wege an Kunden zu liefern, wird der Wasserstoff quasi vor der Haustür des Kunden hergestellt. Zwei Elektrolyse-Anlagen mit einer Gesamtleistung von zwei Megawatt wurden in einer Entfernung von kaum 100 Metern zum Hauptabnehmer, Liebherr Machines, installiert. «Damit umgehen wir die logistischen Herausforderungen des Transports», sagt Patrick Sudan, Geschäftsführer von GHP. «Dafür müssen wir die Stromquelle für den Umwandlungsprozess erschliessen.» Hier liegt in der derzeitigen Frühphase des Projekts noch der Haken. Sudan: «Momentan beziehen wir den grünen Strom für die Elektrolyse noch vom Netz», sagt er. Dies soll sich in naher Zukunft jedoch ändern. Geplant sind der Bau einer Photovoltaikanlage und eines Blockheizkraftwerks auf Holzbasis, ebenfalls ganz in der Nähe der Anlage. «Das sind natürlich grosse Investitionen », sagt Patrick Sudan, «aber wir verfolgen damit eine Zukunftsvision und werden in den nächsten Jahren sicherlich von der Anlage und den Erfahrungen damit profitieren können.» Zurzeit produziert die Anlage bis zu 100 bis 200 Kilogramm Wasserstoff pro Tag – aber nicht jeden Tag. Die tatsächliche Produktionsmenge schwankt beträchtlich, da GHP den Wasserstoff on demand produziert. «Wir betreiben ausserdem einen Feststoffspeicher für 200 Kilogramm Wasserstoff, so dass wir schnell auf höhere Anforderungsmengen reagieren können», sagt Patrick Sudan. Um rentabel zu sein, müsste die Anlage zwischen 100 000 und 150 000 Kilogramm Wasserstoff pro Jahr produzieren. Doch das ist Zukunftsmusik. «Momentan sind wir sehr zufrieden, dass die Anlage funktioniert», sagt Patrick Sudan, «abgesehen von den üblichen Kinderkrankheiten.»
Festkörper-Wasserstoffspeicher
Bei GRZ Technologies in Avenches (VD) dreht sich alles um dezentrale Speicherung. «Solche Systeme sind nötig, wenn wir die Produktion erneuerbarer Energien mit dem Energieverbrauch in Einklang bringen wollen», sagt Geschäftsführer Noris Gallandat. In der Regel wird Wasserstoff heute gespeichert, indem er verdichtet in Containerflaschen gelagert oder bei extrem tiefen Temperaturen verflüssigt wird. GRZ verwendet für seine Systeme einen anderen Ansatz: «Wir haben, einfach gesagt, einen Wasserstoffschwamm entwickelt », erklärt Gallandat. Diese Festkörper- Wasserstoffspeicherung funktioniert bei niedrigem Druck, was die Sicherheit des ganzen Systems erhöht. Die Speichermodule können bei normaler Umgebungstemperatur beliebig miteinander kombiniert werden, so dass Kunden das für sie ideale Speichervolumen vor Ort haben. Das System ist gefragt, auch im Ausland. «Wir richten uns an die Schwerindustrie, aber auch an Tankstellen und Produzenten erneuerbarer Energie», sagt Noris Gallandat. So nutzt zum Beispiel der grösste Solarpark Europas in Deutschland die Speichermodule von GRZ als Speicher für den produzierten Stromüberschuss. Eine weitere innovative Entwicklung des Unternehmens ist ein Methanisierungsreaktor, der CO₂ und Wasserstoff in synthetisches Methan umwandelt. Dieses Methan hat dieselben Eigenschaften wie gewöhnliches Erdgas.
Methanisierungsreaktor
Methanisierung spielt auch beim GreenGas-Projekt des Energieversorgers Gaznat in Aigle (VD) eine tragende Rolle. Gaznet ist der offizielle Betreiber des Westschweizer Gasnetzes und dessen Infrastruktur. Auf dem Gelände des Unternehmens wird in einer Power-to-Gas-Anlage überschüssiger Strom per Elektrolyse in Wasserstoff und anschliessend mit CO₂ in synthetisches Methan umgewandelt. Der Methanisierungsreaktor wurde speziell für diesen Zweck an der EPFL Lausanne entwickelt. Eine weitere Innovation sind nanoporöse Graphenmembranen – ebenfalls eine EPFL-Entwicklung (s. auch Bericht Seite 6) –, mit denen CO₂ aus den Verbrennungsgasen von zwei benachbarten Wärme-Kraft-Kopplungs- Anlagen abgeschöpft und dem Methanisierungsprozess zugeführt wird. «Allerdings reicht die Menge der Verbrennungsgase für unsere Zwecke nicht aus», sagt Gilles Verdan, Head of Network Activities und designierter CEO von Gaznet. «Wir beziehen deshalb zusätzliches CO₂ aus verschiedenen industriellen Anlagen in der Schweiz und tragen so dazu bei, CO₂ in den Energiekreislauf zurückzuführen und nutzbar zu machen.» Ein zweites wichtiges Element des Gaznet-Engagements ist das Innovation Lab, das im August 2023 eröffnet wurde. «Es dient einerseits zum Testen und Überwachen unserer Anlage», erklärt Verdan. «Andererseits möchten wir das Innovation Lab Forschungseinrichtungen und Startups als Testfläche für ihre Entwicklungen zur Verfügung stellen.» Entsprechende Kontakte und Anfragen gebe es bereits – ein deutliches Zeichen dafür, dass das Gas-Potenzial erkannt ist.
Nachhaltig handeln
Fachleute prognostizieren, dass Wasserstoff in grossen Mengen künftig vor allem in Ländern mit konstant hoher Sonneneinstrahlung oder günstigen Windverhältnissen produziert wird, zum Beispiel in Nordafrika, im Mittleren Osten oder in Australien. Umso wichtiger ist es, dass sich die Politik schon jetzt mit Beschaffungsfragen auseinandersetzt und sich an der Gestaltung eines europäischen Wasserstoffnetzes, des European Backbone, beteiligt. Die Schweiz verfügt bereits über ein hochwertiges, flächendeckendes Gastransportnetz und ist Teil einer wichtigen Nord-Süd-Transitleitung – Vorteile, deren Bedeutung im Rahmen einer gesamteuropäischen Studie 2019 hervorgehoben wurden.
Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von economiesuisse erstellt.
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