Während batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) in hoher Kadenz auf den Markt kommen, fristet eine andere lokal emissionsfreie Antriebstechnologie zurzeit noch eher ein Nischendasein: die Nutzung von Wasserstoff. Als vielseitiger Energieträger in Fahrzeugen mit Brennstoffzelle (FCEV) könnte das Element eine Schlüsselrolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilität und zur Energiewende spielen, davon sind viele Experten überzeugt. Das Ziel eines möglichst emissionsfreien Strassenverkehrs könne alleine mit batterieelektrischen Fahrzeugen nicht gelingen, heisst es.
«Wasserstoff ist eine der effizientesten Möglichkeiten, erneuerbare Energien zu speichern und zu transportieren», erklärt Oliver Zipse, der Vorstandsvorsitzende des weltweit tätigen Autoherstellers BMW. «Wir sollten dieses Potenzial nutzen, um auch die Transformation des Mobilitätssektors zu beschleunigen. Wasserstoff ist das fehlende Puzzleteil für emissionsfreie Mobilität, denn eine einzige Technologie wird nicht ausreichen, um klimaneutrale Mobilität weltweit zu ermöglichen.»
Hohe Energiedichte
Das farb- und geruchlose Gas (H₂) wird heute schon als Raketentreibstoff oder in der chemischen Industrie verwendet. Vor allem hat Wasserstoff eine hohe Energiedichte, weit mehr als fossile Brennstoffe. Über eine Brennstoffzelle lässt sich diese Energie in Strom für einen elektrischen Antrieb umwandeln, als «Abgas» entsteht reiner Wasserdampf. Hinzu kommt: Der Wasserstoff lässt sich innerhalb von nur wenigen Minuten tanken. Ein Wasserstoff- Brennstoffzellen-Fahrzeug kom-biniert daher die Vorteile des elektrischen, emissionsfreien Fahrens mit der Möglichkeit, das Fahrzeug so flexibel wie heutige Verbrenner zu nutzen.
Für den Automobilingenieur Christian Bach ist klar, dass es bei der Mobilität der Zukunft auch darum geht, «die stark fluktuierenden Energiequellen Sonne und Wind über das ganze Jahr nutzbar machen». Bach leitet seit zwanzig Jahren die Abteilung Fahrzeugantriebssysteme bei der EMPA (Materials Science and Technology), einem Forschungsbereich der ETH Zürich. Er beobachtet in der Diskussion um Nutzen und Nachteile von Wasserstoff eine seiner Meinung nach zu oberflächliche Betrachtungsweise. Man müsse die Probleme der Energiewende komplexer denken: «Wir werden durch die Photovoltaik vor allem im Sommer grosse Stromüberschüsse sehen, wenn drei Viertel der Jahresleistung von Solaranlagen anfällt. Gleichzeitig gibt es einen Strommangel im Winter, der jetzt wieder zum Thema wird. Wasserstoff ist hier der Schlüssel, indem man ihn beispielsweise in der Mobilität nutzt.»
Der Verlust an Wirkung bei der Erzeugung von Wasserstoff, der oft als Nachteil aufgeführt wird, überzeugt Bach als Argument nicht: «Das ist vergleichbar mit dem Verlust, der bei der Energiegewinnung mit Pumpspeicherkraftwerken entsteht», sagt er. Bei der EMPA ist der 59-jährige Techniker auch verantwortlich für den sogenannten Demonstrator, mit dem wissenschaftliche Erkenntnisse sichtbar gemacht werden. So hat Christian Bach das Projekt von Climeworks begleitet, bei dem CO₂ aus der Atmosphäre gefiltert und, kombiniert mit Wasserstoff, zu einem synthetischen Kraftstoff verdichtet werden kann. Auch an der ersten Schweizer Wasserstofftankstelle oder an einer neuartigen Photovoltaikanlage, die mit einem Speicher gekoppelt ist, war Bach beteiligt.
Autos als Energiespeicher
Als jemand, der seit vielen Jahren am Schnittpunkt zwischen Forschung und praktischer Umsetzung tätig ist, hat Christian Bach keinen Zweifel daran, dass eine wichtige Aufgabe der Mobilität der Zukunft darin besteht, Energie zu speichern. «Sonst nehmen wir jemandem den Strom weg, der ihn dann mit fossilen Quellen ersetzen muss», argumentiert er. Elektroautos mit Batterie oder Wasserstofftank könnten in diesem Szenario Energie speichern, wobei die Hauptanwendung für Wasserstoff im Güterverkehr liege. Für die Luftfahrt wiederum seien synthetische Treibstoffe der beste Weg zur Dekarbonisierung.
Einen vergleichbar ganzheitlichen Ansatz verfolgt BMW in München, wo Dr. Jürgen Guldner als General Programm Manager Hydrogen Technology für die Entwicklung des Wasserstofffahrzeugs iX5 Hydrogen und die entsprechende Forschungstätigkeit des Konzerns zuständig ist. Guldners Einstellung zur Energiefrage ist pragmatisch: «Man muss jede sinnvolle Technologie für die Dekarbonisierung nutzen. Es geht darum, alle Menschen mitzunehmen. Wenn man mehr Optionen anbieten kann, wird der Umstieg auf neue Antriebsarten schneller gelingen», sagt der Ingenieur, der in München, Tokio und Kalifornien studiert hat.
Im Vergleich zu einem BEV biete der Wasserstoffantrieb für bestimmte Anwendungen und Fahrzeuge klare Vorteile: «In der Just-in-Time-Logistik fehlt beispielsweise die Zeit, um Fahrzeuge zu laden. Deshalb macht Wasserstoff im Schwerlastverkehr mehr Sinn», sagt er. So ist der BMW iX5, der zurzeit als seriennahes Erprobungsfahrzeug einem harten Praxistest unterzogen wird, in wenigen Minuten mit H₂ vollgetankt, während das Laden eines BEV auch an einer Schnellladesäule ein Mehrfaches an Zeit beansprucht. «Im Pkw-Bereich können Wasserstofffahrzeuge die BEVs sinnvoll ergänzen, da es auch hier eine Reihe von Anwendungsfällen gibt, bei denen schnelles Tanken wichtig ist», erklärt Guldner. Und auch bei niedrigen Temperaturen erweise sich Wasserstoff als sinnvolle Alternative. Denn Kälte reduziere die Reichweite einer Batterie um einiges.
Wie EMPA-Abteilungsleiter Bach plädiert auch Jürgen Guldner für eine ganzheitliche Sicht auf die Dinge: «Man muss den Betrachtungshorizont erweitern. Beim Elektrofahrzeug gilt es zum Beispiel, den gesamten Nutzungszyklus im Auge zu haben. Von den Rohstoffen, die man aus der Erde holen muss, bis zum Recycling der Fahrzeugkomponenten am Ende von dessen Lebenszyklus.» Die Batterie eines H₂-Fahrzeugs beispielsweise benötige 90 Prozent weniger kritische Rohstoffe als die eines BEV, was wiederum die Abhängigkeiten in der Lieferkette verringere.