Was kostet der Strom im Moment, wenn man von den Risiken in der Zukunft absieht? Dies lässt sich am Spotmarkt ablesen, an dem Strommengen gehandelt werden, die am nächsten Tag geliefert werden. Hier lag der Preis bis Mitte 2021 bei 60 Euro pro Megawattstunde. Im Sommer 2022 wurden Höchststände verzeichnet. Seit diesem Rekord sind die Preise aber wieder deutlich gesunken.
Schweizer Speicherseen und französische AKW
Ob man den Winter entspannt angehen kann oder nicht, hängt besonders von den Reserven ab. Die Schweiz ist in der glücklichen Lage, dass sie im Gegensatz etwa zu Deutschland viele Stauseen hat, die knapp 9 Terawattstunden Strom speichern können. Das entspricht gut einem Viertel des Schweizer Verbrauchs im Winter. Es ist deshalb wichtig, dass die Speicherseen Anfang Winter gut gefüllt sind. Derzeit entspricht der Füllstand ungefähr dem Mittelwert der letzten Jahre.
Der Bund hat im Winter 2023 eine Wasserkraftreserve eingeführt. Diese soll helfen, eine Mangellage im Spätwinter zu überbrücken, wenn man kurzfristig nicht genug Strom importieren kann. Auch von Februar bis Mitte Mai 2024 werden die Stromproduzenten Wasser in den Speichern vorhalten, mit denen man rund 0,4 Terawattstunden Strom produzieren kann.
Im Winter bezieht die Schweiz rund 5 Terawattstunden Strom aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland und Frankreich. Der französische Strommix besteht dabei zu einem grossen Teil aus Atomkraft.
Wichtig ist deshalb, dass die französischen AKW im Winter zuverlässig Strom liefern. Der französische Netzbetreiber RTE geht davon aus, dass im Winter im Vergleich mit dem Vorjahr zusätzlich die Leistung von fünf grossen Kernkraftwerken verfügbar sein wird. Die Risiken einer Mangellage sind also auch aus dieser Warte geringer als vor einem Jahr.
Eng gekoppelter Strom- und Gasmarkt
Ob man gut durch den Winter kommt, hängt schliesslich davon ab, ob in Europa die Erdgaslager voll sind. Die Schweiz hat selber keine solchen Anlagen, sondern ist auf deutsche und französische Kapazitäten angewiesen. Die Lager in Deutschland waren bereits im November 2023 voll gefüllt – einen so hohen Füllstand zu einem so frühen Zeitpunkt hatte es in den letzten zehn Jahren nie gegeben.
Die Gasversorgung ist wichtig für den Strommarkt. Die sehr flexiblen Gaskraftwerke werden in Europa dafür eingesetzt, Spitzen beim Strombedarf abzudecken. Die Produktionskosten der Gaskraftwerke bestimmen deshalb oft auch den Marktpreis beim Strom. Sind die Erdgaslager voll, sind keine Preisexplosionen zu befürchten. Von vollen Erdgaslagern profitiert somit auch die Schweiz, weil dann eine Mangellage am Strommarkt eher verhindert werden kann.
Die drastische Drosselung der Lieferungen aus Russland hatte den Erdgaspreis im August 2022 explodieren lassen – was auch die Strompreise nach oben drückte. Mittlerweile haben die Notierungen deutlich nachgegeben. Dies hat damit zu tun, dass in der Nord- und der Ostsee in Rekordzeit neue Terminals für Flüssiggastanker entstanden sind und die Industrie nach dem Preisschock im Sommer 2022 ihre Sparanstrengungen verstärkt hat.
Stromverbrauch
«Jede Kilowattstunde zählt»: Mit diesem Aufruf hatte der Bundesrat im August 2022 eine Energiesparkampagne gestartet. Ziel war es, eine Mangellage bei Strom und Erdgas zu verhindern, indem die Nachfrage gesenkt wird.
Haben die Sparappelle der Regierung genützt? Weil es in der Schweiz keine leicht verfügbaren aktuellen Daten zum Stromverbrauch gibt, stellt das Bundesamt für Energie (BfE) Modellschätzungen an.
Demnach haben Haushalte und Firmen vor allem im Herbst 2022 und Winter 2022/2023 tatsächlich weniger Strom verbraucht als in früheren Jahren. Der niedrigere Stromkonsum lag allerdings zum Teil am aussergewöhnlich warmen Wetter, wie eine NZZ-Analyse zeigte. Zudem wurde das Sparziel des Bundes von 10 Prozent nicht erreicht.
Zählt man zum Verbrauch der Endkunden noch den Eigenbedarf von Kraftwerken (wie Speicherpumpen) und Netzverluste dazu, erhält man den sogenannten Gesamtstromverbrauch. Dieser ist die relevante Grösse für die Frage, ob die Schweiz in eine Strommangellage geraten könnte. Laut den Schätzungen des Bundes bewegt sich der Gesamtstromverbrauch derzeit im Rahmen des langjährigen Durchschnitts.