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CO₂ sparen? Natürlich! Aber wie?

Camilo Huinca / Sweep

Klima & Energie Wirtschaft

CO₂ sparen? Natürlich! Aber wie?

Firmen schreiben sich den Kampf gegen die Klimakrise auf die Fahnen. Doch viele wissen nicht, wie viel CO₂ sie verursachen. Das ändern Software-Startups wie Sweep – und machen auch Tricksen schwieriger.

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Nun grünt es auch in der ­Wirtschaft. Sogar Ölriesen wie Shell setzen sich ambitionierte Ziele für den Klimaschutz. Doch je mehr Firmen auf den Zug aufspringen, desto offensichtlicher wird ein Problem: Die meisten Unternehmen haben keine Ahnung, wie hoch ihr CO₂-Ausstoss überhaupt ist. Und damit wissen sie auch nicht, was sie genau tun müssen, um diesen bis spätestens 2050 auf null zu senken. Eine internationale Studie des Beratungsunternehmens BCG zeigte letztes Jahr Erschreckendes: Nur neun Prozent aller Firmen können ihre Treibhausgasemissionen genau beziffern.

Ein grosses Datenproblem

«Das CO₂-Problem ist eigentlich ein grosses Datenproblem», sagt Raphael Güller. Der 33-jährige Schweizer ist einer von vier Gründern der Softwarefirma Sweep. Das Startup entwickelt ein Computerprogramm, das es Firmen ermöglicht, ihre CO₂-Emissionen zu messen. «Dabei ist es für viele einigermassen einfach, die CO₂-Mengen zu bestimmen, die sie mit ihrer direkten Geschäftstätigkeit verursachen», sagt Güller. Viel komplizierter hingegen sei es herauszufinden, wie viel CO₂ bei den Kunden anfällt. Oder bei den Lieferanten – vom externen Betreiber der Kantine über den Vermieter der Büros bis hin zum Computerlieferanten oder dem Reisebüro, das die Geschäftsreisen organisiert.

Sweep geht es längst nicht nur um das Messen der Emissionen. Sondern insbesondere darum, die riesigen Datenberge zu sammeln und sie in ein einfaches Tool zu packen. Das Programm stellt den Unternehmen zuerst ein sogenanntes Carbon-Accounting zusammen, also eine Art Buchhaltung für CO₂ und andere Treibhausgase. Im nächsten Schritt hilft es dabei, konkrete Gegenmassnahmen umzusetzen; die Umstellung der Firmenflotte auf Elektroautos zum Beispiel. Dazu werden erst die dadurch möglichen CO₂-Einsparungen berechnet, dann To-do-Listen erstellt und automatisch Aufgaben an Mitarbeitende delegiert.

Eine Buchhaltung für CO₂? Das klingt wenig aufregend – doch Investoren lieben die Idee. Sweep wurde 2020 gegründet und konnte bereits Ende 2021 in einer ersten grossen Finanzierungsrunde 27 Millionen Dollar einsammeln. Inzwischen hat das Unternehmen rund 50 Mitarbeiter, Tendenz stark steigend. Gleichzeitig erhält Sweep stetig mehr Konkurrenz. Das auf Unter­nehmenssoftware spezialisierte US-­Unternehmen Salesforce zum Beispiel hat bereits eine Plattform für Nachhaltigkeits­management auf dem Markt. Und auch der Softwaregigant Microsoft arbeitet an einem ähnlichen Projekt.

Weitere Konkurrenten wie der Unternehmenssoftware-Riese SAP oder das kalifornische Startup Watershed Technology können die Entwicklung von Sweep zumindest vorerst nicht bremsen, ganz im Gegenteil: Erst vor einem Monat erhielt das Startup weitere 73 Millionen Dollar von Investoren – eine enorme Summe für eine so junge Firma.

Es ist nicht nur die Sorge um das Klima, die das Interesse der Investoren weckt. Regierungen auf der ganzen Welt erlassen stetig strengere Vorschriften für die Berichterstattung der Unternehmen. Europäische Länder gelten diesbezüglich als Vorreiter. Doch im März kündigte auch die mächtige US-Börsenaufsicht schärfere Regeln an: Grosse Unternehmen müssen künftig ihre Emissionen ausweisen. Damit können Behörden und Investoren künftig überprüfen, ob die Firmen Greenwashing betreiben: Ob sie also nur über Emissionsreduktionen sprechen, diese aber gar nicht umsetzen.

Die vier Gründer von Sweep haben bereits viel Erfahrung mit Software. Sie lernten sich bei Zendesk kennen, einer amerikanischen Firma, die eine weit verbreitete Plattform für den Kundensupport entwickelt hat. Irgendwann beschlossen sie, gemeinsam etwas Neues auf die Beine zu stellen. Anfangs spielten sie noch mit dem Gedanken, eine Reise-App zu entwickeln. Doch rasch ­merkten sie: Etwas anderes beschäftigte sie alle viel mehr: die Klimakrise. «Wir wollen unsere Fähigkeiten für etwas einsetzen, was im Kampf gegen den Klimawandel wirklich einen Unterschied macht», sagt Raphael Güller. Nachdem er und seine Kollegen ein Wochenende lang Ideen gewälzt hatten, wurde ihnen klar: Die grösste Wirkung können sie erreichen, wenn sie Unternehmen bei der Senkung ihrer Emissionen unterstützen. «Bei der Gründung dachten wir: Warum kümmert sich eigentlich ­niemand um das Thema?», sagt Güller.

Swisscom testet die Software

In der Schweiz hat Sweep inzwischen einen prominenten Interessenten: Die Swisscom hat mit der Software einen Pilotversuch gestartet. Beim grössten Schweizer Telekomkonzern ist die Berechnung der Emissionen besonders kompliziert. Deren grösster Teil stammt nämlich nicht vom Unternehmen selbst. Sondern von Hunderten Lieferanten der Komponenten, mit denen Swisscom seine Netze baut. Oder von den Herstellern der Endgeräte, die Swisscom-Kunden nutzen, also etwa Handys oder TV-Boxen aus Asien.

Bisher sammelte Swisscom seine Emissionsdaten auf eher simple Weise. «Eine Person mit Engelsgeduld versandte Hunderte E-Mails und organisierte Meeting um Meeting, um an die relevanten Daten zu gelangen», sagt Nachhaltigkeits-Spezialist Res Witschi. Dann mussten die erhobenen Werte von Hand in Excel-Tabellen eingefügt werden.

Dieser Prozess wird laut Witschi dank Programmen wie dem von Sweep viel ­einfacher – etwa weil Mitarbeitende Daten gleich selbst ins Tool einfüllen können. Noch wichtiger ist aber etwas anderes: «Die Königsdisziplin ist nicht das Messen der Emissionen, sondern das Reduzieren», sagt Witschi. So lassen sich per Mausklick auch verschiedene Wege modellieren, um Emissionen zu senken. Und mit diesen Informationen können die Verantwortlichen danach entscheiden, welchen Massnahmen sie ­Priorität geben.

Unter Startup-Investoren hat sich inzwischen schon ein eigener Begriff für Firmen wie Sweep etabliert: «Klima-Finanztechnologie» oder kurz «Klima-Fintech». Raphael Güller glaubt daran, dass sein Startup grosse Geschäftschancen hat – und er hegt ambitionierte Ziele. «Wir würden gerne das erste globale Klimaschutz-Unternehmen sein, das einen Börsengang schafft», sagt er.

Jürg Meier, «NZZ am Sonntag» (21.05.2022)

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