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Kostenwahrheit gefordert: Die Lebensmittelproduktion verursacht ökologische und soziale Schäden, für die niemand aufkommt. Foto: Adobe Stock

Produktion & Konsum Partner Inhalt: Boston Consulting Group (BCG)

«Viele Lebensmittelkonzerne kennen ihre Lieferketten zu wenig»

Quantis, eine Tochter der Boston Consulting Group (BCG), hat weltweit mehr als 600 Entscheidungstragende aus der Food-Branche befragt, wo die Hürden und Hebel auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit liegen. Daniela Hoffmann, Climate Strategy Lead von Quantis Schweiz, erklärt, was die Ergebnisse für Schweizer Unternehmen und Konsumenten bedeuten.

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«Viele Lebensmittelkonzerne kennen ihre Lieferketten zu wenig»

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Frau Hoffmann, was hat Sie an den Resultaten der Quantis-Studie «Recipe for Transformation» am meisten überrascht?

Daniela Hoffmann: Spannend ist, dass die Entscheidungstragenden in Europa und in den USA einen unterschiedlichen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit haben. In Europa sehen die Befragten mehrheitlich (47 Prozent) staatliche Regulierung als Anreiz. In den USA betrachten dagegen 38 Prozent die Markenwahrnehmung als Haupttreiber für einen nachhaltigen Wandel. Ausserdem überrascht es mich, dass man in der Lebensmittel- und Getränkebranche eher skeptisch in die Zukunft blickt. Nur knapp ein Drittel gibt sich zuversichtlich, dass die Nachhaltigkeitsziele bis 2030 erreicht werden. Dabei fällt aber eines auf: Wenn ein Unternehmen seine Schlüsselkennzahlen, die Key Performance Indicators (KPI), mit den Nachhaltigkeitszielen verknüpft, sind die Mitarbeitenden deutlich optimistischer.

Eine Nachhaltigkeitsstrategie allein reicht nicht aus?

Nein, ein abstraktes, globales Ziel bleibt vage. Es muss im Alltag umsetzbar sein. Jede Nachhaltigkeitsstrategie sollte sich in konkreten Zielen für die verschiedenen Abteilungen bis hin zum einzelnen Angestellten niederschlagen. Zum Beispiel könnte der Bonus für Führungskräfte auch von nachhaltigen Kriterien abhängig gemacht werden. Das bewirkt, dass die Mitarbeitenden ökologische Überlegungen systematisch in ihr Handeln miteinbeziehen.

Was sind die grössten Hürden auf dem Weg zu einer nachhaltigen Transformation?

42 Prozent der Teilnehmenden unserer Umfrage nennen die komplexen Lieferketten in der Lebensmittelbranche als Hauptproblem. Diese machen es oft schwierig, Massnahmen zu planen und umzusetzen. Eine weitere Herausforderung ist, dass Nachhaltigkeit oftmals hohe Investitionen erfordert (36 Prozent). Schliesslich fehlt es teilweise an einem gemeinsamen Verständnis von Nachhaltigkeit.

Wenn ich Sie richtig verstehe, wissen Lebensmittelproduzenten oft also nicht einmal, woher die Rohstoffe kommen?

In der Tat. Kleinere Betriebe haben kaum Möglichkeiten, ihre Rohstoffe direkt von den Produzenten zu beziehen. Grossunternehmen bauen zwar eigene Lieferketten auf, kaufen aber trotzdem dazu, um ihre Risiken abzufedern. Damit ist es ein grosser Aufwand, die Herkunft der Zutaten bis zur Farm zurückzuverfolgen. Nehmen wir das Beispiel Kakao: Dieser wird häufig von Kleinbauern angepflanzt, die nur zwei Hektar im Wald bewirtschaften. Man transportiert ihre Ernten dann zu einem Sammelposten. Das erschwert den Überblick.

Grafik: Quantis-Studie "Recipe for transformation" (2024)

Quantis-Studie "Recipe for transformation" (2024)

Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Lebensmittelbranche

Hindernisse und Treiber im Überblick

Das neue EU-Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen, ihre Lieferketten zu kennen – was einen Aufwand darstellt. Steigen die Lebensmittelpreise aufgrund zunehmender Nachhaltigkeitsvorschriften?

Eine berechtigte Frage. Derzeit sind wir in der Lebensmittelbranche weit von der Kostenwahrheit entfernt. Das heisst, die Produktion verursacht ökologische und soziale Schäden, für die niemand aufkommt. Darunter leiden langfristig nicht nur die Menschen vor Ort, sondern die gesamte Menschheit. Die Folgekosten muss irgendjemand bezahlen. Wenn sie nicht in den Produktpreis fliessen, muss letztlich die Allgemeinheit dafür geradestehen – meist in Form von Steuern. Wir benötigen also einen Paradigmenwechsel. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es vor allem die Umweltschäden selbst sind, welche die Preise hochtreiben. Da denke ich an Ernteausfälle aufgrund von zunehmenden Unwettern. So sind beispielsweise die Kakaopreise wegen einer Knappheit in Westafrika in nur einem Jahr um 65 Prozent hochgeschnellt.

Schon heute zahlen wir oft einen Aufpreis für Bioqualität. Müssen wir uns im Zeichen einer nachhaltigen Landwirtschaft auf höhere Preise einstellen?

Wenn Bioqualität gesetzlich vorgeschrieben wäre, liesse sich damit theoretisch kein Premiumpreis mehr rechtfertigen. Auch wenn wir dank eines gesunden ökologischen Kreislaufs weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel brauchen, müsste sich ein Kostenvorteil ergeben. Grosse Hoffnungen liegen da in neuen Technologien wie zum Beispiel der Präzisionslandwirtschaft. Mit Drohnen kann man genau erkennen, wo Handlungsbedarf besteht, und ganz gezielt Massnahmen ergreifen.

Haben neben der Hightech-Landwirtschaft auch kleinbäuerliche, naturnahe Betriebe eine Zukunft?

Die Lebensmittelindustrie braucht verlässliche Lieferanten. Wir gehen aber davon aus, dass viele Lösungen nebeneinander entstehen und sich die bewährten durchsetzen. Es ist wichtig, dass wir neue Wege suchen – und je nach Umfeld führen andere zum Ziel. Wir können einen Grossbetrieb, der Mais als «Commodity» für den Weltmarkt anbaut, nicht mit einem kleinen Kakaobauern in Afrika vergleichen. Hightech-Landwirtschaft ist ein Teil der Lösung – aber kommt nicht überall zum Einsatz.

Bei der Präsentation der Studie in Zürich waren namhafte Lebensmittelproduzenten anwesend. Welche ersten Schritte empfehlen Sie den Unternehmen?

Es gibt keine Patentrezepte, aber einige Grundprinzipien. Jedes Unternehmen kennt seine Lieferkette am besten und weiss, welche Massnahmen wirksam sind. Gemäss dem Pariser Abkommen will die Schweiz ihren CO2-Ausstoss bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist rasches Handeln erforderlich. Unternehmen sollten deshalb nicht warten, bis die Finanzabteilung die Massnahmen in ihrem Reporting adäquat abbilden kann. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die Unternehmen dazu beitragen, dass sich Nachhaltigkeit sinnvoll in Zahlen aus-drücken lässt.

Welchen Einfluss haben die Konsumenten?

Der grösste Hebel besteht darin, aufs Fleisch zu verzichten. Eine vegetarische Mahlzeit belastet das Klima viel weniger. Und es wäre erst noch gesünder, sich auf den Sonntagsbraten zu beschränken und viel Gemüse und Obst zu essen.

In der Schweiz dienen die Tiere aber vielerorts auch der Landwirtschaftspflege.

Studien zeigen, dass unser Tierbestand zu gross ist, als dass die Rinder und Kühe nur von Heu und Gras leben könnten. Aber die Schweiz bildet tatsächlich einen Sonderfall. Weil wir viel Grasland haben, fördert eine gewisse Zahl Tiere die Biodiversität.

Foto: Quantis

Quantis

Daniela Hoffmann ist Agronomin und Climate Strategy Lead von Quantis in Zürich

Rezepte für eine nachhaltigere Lebensmittelindustrie

In fast jeder Mahlzeit, die wir zu uns nehmen, stecken Zutaten aus aller Welt. «Die Lebensmittelbranche und die Landwirtschaft tragen wesentlich dazu bei, dass wir sechs der neun planetaren Grenzen wie etwa Klimawandel, Biosphäre und Landnutzung überschritten haben», sagt Marina Haydn, Food & Beverage Sustainability Strategist von Quantis. Zugleich bekommt es die Branche rasch zu spüren, wenn die Natur aus dem Gleichgewicht gerät. Allein bis 2030 könnten Schäden in Höhe von 150 Milliarden US-Dollar entstehen. Um Lösungen für diese Herausforderung zu finden, hat Quantis mehr als 600 Entscheidungstragende aus verschiedensten Bereichen der Lebensmittelbranche befragt und die Erkenntnisse in der Studie «Recipe for Transformation» festgehalten. Demnach braucht es für einen nachhaltigen Wandel zweierlei: Erstens müssen wir unsere Essgewohnheiten ändern, vor allem hin zu pflanzlichen Proteinen. Dazu sollten Unternehmen ihre Produktportfolio erneuern und mit entsprechenden Marketingkampagnen unterstützen. Zweitens gilt es, die Wertschöpfungsketten bis hin zu den Produzentinnen und Produzenten nachhaltig zu gestalten. «Möglich ist das nur, wenn Nachhaltigkeit nicht eine Aufgabe einer Sustainability-Abteilung bleibt, sondern in alle Unternehmensbereiche integriert wird», resümiert Haydn.

Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von Boston Consulting Group (BCG) erstellt.

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