Nachhaltigkeit zählt zu den drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Doch wie lässt sich ein bewussteres Verhalten langfristig fördern? Torben Emmerling, Experte für angewandte Verhaltenswissenschaften, ist überzeugt: Es scheitert selten an der Motivation des Einzelnen. Im Interview erklärt er, wie kleine, gezielte Impulse Grosses bewirken können – und warum der Aufbau der richtigen Rahmenbedigungen entscheidender ist als blosse Appelle an die Vernunft.
Glauben Sie, dass es realistisch ist, unser Verhalten so zu verändern, dass wir die Klimaerwärmung wirksam bremsen können?
Torben Emmerling: Ja. Sowohl als Verhaltenswissenschaftler wie auch als Unternehmer sehe ich durchaus eine realistische Chance, unser Verhalten ausreichend zu verändern, um die Klimaerwärmung entscheidend zum Guten zu beeinflussen.
Können Sie praxisnahe Beispiele nennen, die zeigen, wie kleine Verhaltensimpulse nachhaltiges Verhalten fördern?
Ja, es gibt viele Beispiele, die man ausführlich erläutern könnte. Einige ausgewählte Best Practices, die zeigen, wie kleinere, verhaltenswissenschaftlich basierte Innovationen und Nudges nachhaltiges Verhalten fördern, sind:
Im Bereich Energiekonsum hat etwa das das schrittweise, kaum spürbare Senken der Raumtemperatur in den Büros der OECD über mehrere Wochen zu einer messbaren Reduktion des Energieverbrauchs geführt.
Beim Thema Verpackung sorgte eine standardmässige Nichtausgabe von Strohhalmen oder das Erheben einer kleinen Gebühr (z. B. fünf Rappen) für Plastiktüten dafür, dass deutlich weniger Einwegmaterialien verbraucht werden.
Auch im Mobilitätsbereich konnten durch die Optimierung von Sammelfahrten (Ride Pooling) und gezielte, individuelle Hinweise zu alternativen Routen mit öffentlichen Verkehrsmitteln umweltfreundliche Alternativen gefördert werden.
In Abfallmanagement und Anti-Littering Programmen, haben kleine spielerische Anreize wie Abstimmungen zu Sport- oder Unterhaltungspräferenzen Menschen dazu veranlasst, weniger Müll unbedacht wegzuwerfen und korrekt zu recyceln.
Diese und viele weitere Beispiele verdeutlichen, dass bereits kleine, gut durchdachte Veränderungen im Kontext von Menschen grosse Wirkung auf unser Verhalten entfalten können.
Warum tun sich Menschen schwer damit, rationale und nachhaltige Entscheidungen zu treffen?
Es ist wichtig zu verstehen, dass Menschen in ihrem Verhalten oft von den Annahmen der traditionellen ökonomischen Rationalität abweichen, dabei aber in vielerlei Hinsicht biologisch oder ökologisch rational handeln. Ein wesentlicher Grund für diese scheinbaren Widersprüche liegt darin, dass wir im Alltag nicht über perfekten Informationszugang oder unbegrenzte mentale Ressourcen verfügen, um jede Entscheidung langfristig optimal zu treffen. Stattdessen nutzen wir häufig mentale Abkürzungen – sogenannte Heuristiken –, die zwar den Entscheidungsprozess vereinfachen, uns jedoch in bestimmten Situationen zu bequemen, emotionalen und gelegentlich wenig nachhaltigen Entscheidungen verleiten können.
Also hindern uns kognitiven Barrieren daran, nachhaltiges Verhalten zu zeigen?
Viele dieser kognitiven Barrieren hindern uns daran, nachhaltiger zu handeln. Studien zeigen unter anderem, dass Überoptimismus häufig dazu führt, Risiken (wie die des Klimawandels) zu unterschätzen und die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Zudem verdeutlichen sie die Präferenz für den Status Quo, insbesondere bei komplexen Herausforderungen, wie etwa den langfristig und räumlich entfernten negativen Folgen ökologischer Entscheidungen.
Welche Bedeutung haben soziale Normen für nachhaltiges Verhalten?
Soziale Einflüsse und Gewohnheiten sind entscheidend, da sich unser Verhalten unter Unsicherheit besonders stark an den Beobachtungen anderer orientiert. Was in einer Gesellschaft als «normal» oder «erwünscht» gilt, kann unsere Bereitschaft, nachhaltig zu handeln, sowohl positiv («Andere machen das bereits erfolgreich») als auch negativ («Warum sollen wir etwas tun, wenn alle anderen Länder sich nicht darum kümmern») beeinflussen.
Sehen Sie in digitalen Tools und Technologien Potenziale zur Förderung nachhaltigen Verhaltens?
Ja, digitale Anwendungen können sowohl allein wie auch unterstützend viel bewirken. Unsere eigenen Experimente zeigen, dass z.B. durch personalisiertes Feedback und die Bereitstellung von einfach verständlichen Echtzeit-Daten, Menschen ihren Ressourcenverbrauch besser verstehen und behandeln können. Darüber hinaus fördern Gamification-Elemente mit Spass die Etablierung nachhaltigerer Gewohnheiten. Die Integration und Nutzung von Sozialen Medien kann zudem den Austausch von Erfolgsgeschichten unterstützen und das Aufkommen neuer nachhaltigerer Normen ermöglichen.
Wie beurteilen Sie das Zusammenspiel zwischen individueller Verhaltensänderung und systemischen Anpassungen im Kampf gegen den Klimawandel?
Änderungen im persönlichen Verhalten sind notwendig und sollten stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Allerdings wissen wir auch, dass sie aufgrund der Komplexität der Herausforderung allein nicht ausreichen, um dem Klimawandel wirksam zu begegnen. Eine kluge Integration verhaltenswissenschaftlicher Einsichten in systemische Veränderungen – wie etwa evidenzbasierte politische Massnahmen oder Unternehmensstrategien – bietet grosses Potenzial und kann nachhaltiges Verhalten in grossem Stil fördern. Wenn politische, gesellschaftliche und unternehmerische Ebenen miteinander verknüpft werden und das richtige Umfeld schaffen, können Verhaltensänderungen auf breiter Basis wirksam werden. Wie immer entstehen die besten Ergebnisse, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam an einem Strang ziehen.
Welche konkreten Empfehlungen haben Sie für Unternehmen, die nachhaltiges Verhalten fördern möchten?
Unternehmen sollten zunächst klare, messbare Nachhaltigkeitsziele definieren und diese transparent kommunizieren: Was sind die Ziele? Wo stehen wir heute? Welche Schritte sind notwendig, um die Ziele erfolgreich zu erreichen? Hierbei empfiehlt es sich, frühzeitig eine verhaltensorientierte Perspektive zu integrieren und auf die vielfach vorhandenen intrinsischen Motivationen von Mitarbeitenden einzugehen. Welche Barrieren gibt es heute? Wie können diese aus dem Weg geräumt werden? Was machen wir bereits gut? Wie können wir die Unterstützung verbessern? Ferner ist es wichtig, durch internes Vorleben – insbesondere auf Führungsebene – ein glaubwürdiges Signal zu senden. Menschliches Verhalten orientiert sich stark an Beobachtungen anderer. Nur wer top-down und bottom-up Werte vorlebt, kann nachhaltiges Handeln langfristig in der Unternehmenskultur verankern.
Gibt es ethische Grenzen bei der Anwendung von Verhaltenswissenschaften, um nachhaltiges Verhalten in Unternehmen zu fördern?
Ja, die gibt es sicherlich. Ein für uns sehr zentraler Aspekt ist, dass Verhaltensinterventionen nicht zur verdeckten Manipulation oder Bevormundung einer Zielgruppe führen dürfen.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um das zu verhindern?
Es ist entscheidend, dass Massnahmen im übergeordneten Interesse der Zielgruppe oder Gesellschaft durchgeführt werden, ohne dass es zu Benachteiligungen kommt. Ebenso wichtig sind Transparenz hinsichtlich der Ziele und Methoden sowie die Wahrung der Autonomie aller Beteiligten. Wahlfreiheit und Privatsphäre dürfen nicht eingeschränkt werden, und Optionen sollten grundsätzlich erhalten bleiben. Auch ökonomische Anreize sollten nur in angemessenem Masse verändert werden. Wenn diese Bedingungen eingehalten werden – was angesichts der häufig übereinstimmenden Ziele im Bereich Nachhaltigkeit in der Tat recht einfach ist –, können Politikerinnen und Politiker wie auch Unternehmerinnen und Unternehmer Verhaltenswissenschaft einfach, wirksam und zugleich verantwortungsvoll einsetzen, um nachhaltiges Verhalten zu fördern.
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