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Angewidert von seinem Milliardenvermögen: Patagonia-Gründer überträgt Outdoorfirma an gemeinnützige Stiftungen

Obwohl sein Lebenswerk, die Kleidermarke Patagonia, nie ohne Widersprüche auskam, zeigt Yvon Chouinard, dass ein Unternehmer noch mehr schaffen kann als Gewinne und Arbeitsplätze. Nun verschreibt der Inhaber seine Firma komplett dem Klimaschutz. Die Erben verzichten damit auf Milliarden.

Will nicht als Milliardär wahrgenommen werden: Yvon Chouinard in einer undatierten Firmenaufnahme von Patagonia. Bild: Campbell Brewer

21. September 2022

Er wollte den Planeten retten. Und gründete dafür ein Modelabel. Ausgerechnet. Die Kleiderproduktion wird mit Wasserverschmutzung und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen verbunden – und baut ausserdem zu einem grossen Teil auf eine Wegwerfmentalität der Kundschaft, die dem Gedanken des Umweltschutzes diametral widerspricht. In diesem Spannungsfeld hält es Yvon Chouinard (83) nun nicht länger aus. Er gibt sein Unternehmen in die Hände einer Stiftung. «Billionaire no more», so titelte die «New York Times», die zuerst darüber berichtete.

Es geht um eine beträchtliche Summe, die Chouinard und seine Erben aus der Hand geben. Sie verzichten auf einen Unternehmenswert von 3 Milliarden Dollar und jährliche Profite von Hunderten von Millionen Dollar. Das Vermögen und der Besitz der Firma gehen nun komplett an gemeinnützige Stiftungen über, die sicherstellen, dass sämtliche Unternehmensgewinne entweder ins Geschäft reinvestiert werden oder in den Klimaschutz fliessen. So beschreibt es Chouinard in einer Mitteilung auf der Patagonia-Website.

Geschäftsmann aus Versehen

Der Schritt kommt überraschend, passt aber in das Leben des unkonventionellen Firmenchefs. Er habe nie ein Unternehmer werden wollen, schreibt Chouinard, ein passionierter Bergsteiger, der laut der Legende zeitweise in seinem Auto lebte, aus Kostengründen Katzennahrung aus der Dose verzehrte und bis heute weder einen Computer noch ein Smartphone besitzt.

Tatsächlich kam Chouinard eher aus Versehen in die Modeindustrie, als er vor über fünfzig Jahren begann, für seine eigenen Bergtouren Kleider und Material herzustellen, weil er keine umweltfreundlichen Produkte auf dem Markt fand. Doch als das Ausmass der Umweltzerstörung in den 1970er Jahren immer sichtbarer wurde, schloss Chouinard die Augen nicht vor seinem eigenen Beitrag zur Verschmutzung. Es begann sein Leiden an der eigenen Verantwortung.

Doch anstatt das scheinbar Unausweichliche, den Klimawandel, als gegeben hinzunehmen, ging Chouinard los, den Kapitalismus zu reformieren. Er sei ein «totaler Pessimist», sagte er Jahre später gegenüber amerikanischen Medien, aber er sei froh, das Heilmittel gegen Depression zu kennen: eigenes Handeln.

Um den anderen Managern der Modeindustrie zu zeigen, dass es auch nachhaltiger gehen würde, gründete Chouinard im Jahr 1973 Patagonia. Während die Billigmode- und die Fast-Fashion-Industrie in den Jahrzehnten danach immer schneller wuchsen, stellte Patagonia Produkte her, die möglichst lange halten. Chouinard rief Konsumentinnen und Konsumenten dazu auf, alte Kleidungsstücke wiederzuverwerten, stellte Angestellte an, um mit einem Werkstatt-Camper durch Städte und Touristenorte zu fahren und beschädigte Outdoorkleider zu reparieren.

Kauf mich nicht!

Dabei verstrickte sich Patagonia natürlich auch in Widersprüche. Die Marke schaltete Black-Friday-Inserate mit der Überschrift «Don’t buy this jacket». Nach dem Wahlsieg von Donald Trump wurden Etiketten in Shorts genäht mit der Aufschrift «Vote the assholes out». Die beworbenen Objekte waren innert kürzester Zeit ausverkauft, obwohl Patagonia ja eigentlich von sich behauptete, man versuche den Konsumentinnen und Konsumenten weiszumachen, sie sollten nur das kaufen, was sie tatsächlich benötigten.

Den Planeten zu retten und dabei die hartgesottenen Gewinnmaximierer zu kritisieren, kam als Mission bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten gut an. Chouinard und sein Führungsteam steigerten den Absatz kontinuierlich, obwohl die Firma immer sagte, dass Wachstum kein Firmenziel sei.

Trotzdem handelte Chouinard konsequenter als fast alle Manager von grossen Unternehmen in der Modebranche. Patagonia war eine der ersten Firmen, die auf Biobaumwolle setzten. Am Hauptsitz wurden schon Kinderkrippen für den Nachwuchs von Angestellten eingerichtet, lange bevor es zum guten Ton gehörte, dass man in den Teppichetagen über Diversity sprach. Chouinard setzte Umweltschutz und soziale Nachhaltigkeit durch, auch wenn es die Konsumentinnen und Konsumenten viel kostete – und die höheren Preise das Firmenwachstum bremsten.

Wo es Superreiche gebe, versage die Politik

Als Chouinard 2017 erstmals auf der Millionärsliste von «Forbes» auftauchte, war er «really pissed off», wie er gegenüber der «New York Times» in einem seiner seltenen Interviews schilderte. Er wollte nicht als Superreicher wahrgenommen werden und begann mit dem Gedanken zu spielen, die Inhaberschaft der Firma abzugeben. Der Ausbruch der Covid-Pandemie beschleunigte den Entscheidungsprozess bei dem über 80-Jährigen.

Mitte 2020 drohte Chouinard dem gegenwärtig geschäftsführenden Patagonia-CEO Ryan Gellert, die Firma an den erstbesten Milliardär auf der «Forbes»-Liste zu verkaufen, sollte Gellert nicht «nächstens mit einer besseren Idee aufwarten». Der CEO setzte darauf ein Team von Anwälten auf die Mission an, Patagonia als Unternehmen zu erhalten, aber die Gewinne zu vergemeinschaften.

Ein Börsengang wurde früh als Option ausgeschlossen. Chouinard verachtet den Aktienhandel und die Fokussierung auf kurzfristige Gewinne, die bei vielen Firmen damit einhergeht. Die Kinder von Chouinard, beide in den Vierzigern, wollten Patagonia nicht übernehmen. Sie hätten die Meinung verinnerlicht, dass jeder Milliardär ein Politikversagen sei, sagt Chouinard zur «New York Times», deshalb hätten sie das wertvolle Eigentum abgelehnt.

Landschaftsschutz, Aktivismus und Lobbying

Am Ende blieb eine Option: die Übertragung der Firma an gemeinnützige Stiftungen. Für den Vermögenstransfer, den sie im August abgeschlossen haben und nicht mehr rückgängig machen können, bezahlen die Chouinards eine Schenkungssteuer von 17,5 Millionen Dollar. Sie gehören nun zu den grössten Spenderinnen und Spendern der USA.

Trotz dem Transfer der Firma zur Stiftung bleibt bei der Kleidermarke vorerst alles beim Alten. Patagonia wird weiter Outdoorprodukte herstellen und verkaufen. Die Chouinards sicherten sich Einfluss bei den Stiftungen, die kontrollieren, wohin die Unternehmensgewinne künftig fliessen. Die Familie will laut eigenen Angaben damit vor allem Projekte finanzieren, die unberührte Landschaften schützen, und weiterhin allerlei Bestrebungen von Klima- und Umweltschutzaktivisten unterstützen. Die Stiftung erlaubt allerdings auch politische Spenden und Lobbying.

Manager, die die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, gibt es heute viele. Doch mit Chouinard tritt nun einer ab, der gegen seinen Lebensabend in letzter Konsequenz alles aufgibt, was er erreicht hat, ohne es jemals gewollt zu haben.

Gioia da Silva, «Neue Zürcher Zeitung» (15.09.2022)

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Eine neue Art der Spende?

Die Spende der Familie Chouinard ist auch für amerikanische Verhältnisse beachtenswert. Zwar spenden sehr wohlhabende Personen wie Warren Buffett, Bill und Melinda Gates, George Soros oder auch der Schweizer Hansjörg Wyss regelmässig höhere Beträge als die Chouinards. Allerdings ist es selten, dass eine Inhaberfamilie ihre komplette Firma in die Hände einer Stiftung legt und auf sämtliche künftige Gewinnausschüttungen verzichtet. Laut Recherchen der «New York Times» ist es erst das zweite Mal, dass dies mit einer grossen und weitum bekannten Firma in den USA geschieht.

Der erste Unternehmer, der sein komplettes Unternehmen einer wohltätigen Stiftung vermachte, ist der Amerikaner Barre Seid. Er legte seine Firma Tripp Lite, die Güter für den Stromschutz von elektrischen Geräten herstellt, vor wenigen Wochen in die Hände einer Stiftung, die in den USA für konservative Politik einsteht.

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