Mit den bisherigen Methoden kommt man nicht weiter
Auf den ersten Blick ist der Ausgang der zurückliegenden Parlamentswahlen eine Absage an den Klimaschutz. Doch nicht die Ziele sind das Problem, sondern die Lösungsansätze der Grünen.
Wem es gelingt, Klimaschutz mit den Bauern und nicht gegen sie zu betreiben, kann realpolitisch viel erreichen. Bild: Getty
Auf den ersten Blick ist der Ausgang der zurückliegenden Parlamentswahlen eine Absage an den Klimaschutz. Doch nicht die Ziele sind das Problem, sondern die Lösungsansätze der Grünen.
4 Min. • • Felix E. Müller, «Nachhaltig handeln, Verlagsbeilage November 2023»
Das Hauptnarrativ der Wahlen vom 22. Oktober ist klar: Die Ökoparteien haben eine Pleite erlitten. Die Grünen büssten gegen vier Wählerprozente ein und die Grünliberalen rund 40 Prozent ihrer Parlamentssitze. Daraus ergibt sich vordergründig eine eindeutige Schlussfolgerung: Für den Klimaschutz war es ein schlechter Sonntag. Die Schweiz ist nach rechts gerückt. Nun drohen Rückschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigen Schweiz.
In dieser Zuspitzung geht allerdings eine erste Wahrheit vergessen. Was in der Schweiz als Erdrutsch erscheint, gälte im Ausland als Niedergang eines Sandkorns. Gerade einmal sieben Prozent der Sitze im Nationalrat wechselten am Wahltag ihre Inhaber. Aus dieser tiefen Zahl lässt sich nicht auf einen scharfen Kurswechsel in der Klimapolitik schliessen, sondern eher auf eine Kurskorrektur. Zudem hat die Korrektur der Wähleranteile nach der peinlichen Berechnungspanne des Bundesamts für Statistik ergeben, dass die Rechtsrutsch moderater und der Rückgang der Ökoparteien weniger stark ausgefallen ist als ursprünglich gemeldet.
In der medialen Fokussierung auf die Kategorien von Gewinnern und Verlierern ging auch unter, dass die Grünen 2023 das zweitbeste Ergebnis in ihrer Geschichte eingefahren haben. Am Ende ist diese Partei nicht, allerdings am vorläufigen Ende all ihrer Bundesratsambitionen. Im Siebenergremium werden sie aus eigener Kraft in absehbarer Zukunft nicht auftauchen, genauso wie die Grünliberalen.
Verbote wirken abschreckend
Beim schlechten Abschneiden der Umweltparteien hat sicher eine Rolle gespielt, dass in den letzten Jahren grüne Anliegen auch in anderen Parteien Fuss gefasst haben. So verhalfen etwa die FDP und die Mitte dem Klimagesetz im Kanton Zürich zum Durchbruch, das unter anderem einen Ausstieg aus fossilen Heizungen bringt. Wem der Klimaschutz ein Anliegen ist, sieht sich also nicht mehr gezwungen, deswegen den Grünen oder der GLP die Stimme zu geben.
Ein weiterer Grund war sicher, dass die Klimakleber dem Anliegen des Klimaschutzes geschadet haben. Denn sie verstärkten einen Eindruck, den die Grünen im Ubermut ihres Wahlerfolgs von 2019 durchs Band erweckt haben: Klimaschutz erfordert Zwangsmassnahmen, Einschränkungen, staatliche Eingriffe in die private Lebensführung bis hin zu dem, was wir noch essen dürfen. Für die Grünen (in diesem Punkt von der SP unterstützt) schien das Verbot das am besten geeignete Instrument auf dem Weg zu einer nachhaltigen Schweiz zu sein. Dass eine Nationalrätin ernsthaft einen staatlichen Bann von Hackfleischaktionen bei den Detailhändlern forderte, illustriert die angestrebte Interventionstiefe grüner Umweltpolitik. Dennoch ist unbestritten, dass die neuen Machtverhältnisse im Parlament einen gewissen Einfluss auf die Umweltpolitik haben werden. Mit dem bisherigen Ansatz, nämlich primär mittels gesetzlicher Verbote, mittels Forderungen des Verzichts und der Einschränkungen zu arbeiten, dürften sich nun definitiv keine Mehrheiten mehr erzielen lassen. Denn dieser wirkt unsympathisch, bevormundend, invasiv und weckt vielerorts Abwehrreflexe.
«Zentral wird sein, anstelle von Zwangsmassnahmen mit Anreizen zu schaffen.»
Wem die Nachhaltigkeit ein Anliegen ist, der muss in den nächsten Jahren andere Methoden wählen. Noch wichtiger wird jetzt etwa die Überzeugungsarbeit. Bürgerinnen und Bürger sind nämlich bereit, zu Gunsten des Klimas Entscheidungen zu treffen, wenn sie die vorgeschlagenen Massnahmen als sinnvoll erachten. Der rasante Ausstieg aus fossilen Heizungen oder der wachsende Anteil an E-Autos sind dafür gute Beispiele.
Zentral wird aber sein, anstelle von Verboten und gesetzlichen Zwangsmassnahmen mit Anreizen zu schaffen. Es steht dafür eine ganze Palette von Möglichkeiten zur Verfügung, etwa mittels des Steuersystems, des Abbaus gesetzlicher Schranken oder einer gezielten Vereinfachung gewisser Verfahren. Die Montage von Solarpanels ist dafür ein gutes Beispiel, die mancherorts immer noch bürokratisch aufwendig und umständlich ist. Ebenfalls in dieses Repertoire gehören gezielte und zeitlich befristete Subventionen.
Wassermangel als Alarmsignal
Schliesslich gilt es, die Bauern als Verbündete für den Klimaschutz zu gewinnen. Diesen gelang es, ihren Einfluss im neuen Parlament nochmals auszubauen. Bisher haben die Grünen in ihren städtischen Genossenschaftssiedlungen die Landwirte tendenziell als Gegner betrachtet. Seriell wurden Volksinitiativen lanciert, die von diesen als Angriff auf ihre Existenz betrachtet wurden, gewissermassen als wolle der Staat ihnen die Tiere aus dem Stall abführen. Doch die Bauern sind für die Ideen des Klimaschutzes durchaus empfänglich, sehen sie doch früher als viele die Folgen des Klimawandels in ihrer täglichen Arbeit. Dass etwa in gewissen Regionen der Schweiz im Sommer neuerdings Wassermangel besteht, ist für viele von ihnen ein Alarmsignal. Wem es gelingt, Klimaschutz mit den Bauern und nicht gegen sie zu betreiben, kann realpolitisch viel erreichen.
Klimapolitik und die Themen der Nachhaltigkeit werden folglich im neuen Parlament nicht von der politischen Agenda verschwinden. Erforderlich sind allerdings neue Ansätze, damit die Schweiz auf diesem wichtigen Gebiet weitere Fortschritte erzielen kann.
Dieser Artikel behandelt folgende SDGs
Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.
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