Dieses Ja ist «relativ breit abgestützt»
Das Klimaschutzgesetz ist klar angenommen worden. Die Politologin Martina Mousson erklärt die Unterschiede zum gescheiterten CO₂-Gesetz – und weshalb die Gegner:innen diesmal schlechter mobilisieren konnten.
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Das Klimaschutzgesetz ist klar angenommen worden. Die Politologin Martina Mousson erklärt die Unterschiede zum gescheiterten CO₂-Gesetz – und weshalb die Gegner:innen diesmal schlechter mobilisieren konnten.
5 Min. • • Giannis Mavris, «SWI swissinfo.ch»
SWI swissinfo.ch: Die Schweiz soll bis 2050 klimaneutral werden. Noch vor zwei Jahren wurde das ähnlich gelagerte CO₂-Gesetz versenkt. Sind die Schweizer:innen zum Schluss gekommen, dass die Zeit für einen Wechsel in der Klimapolitik da ist?
Martina Mousson: Es gibt eigentlich wenig Anzeichen dafür, dass sich in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit etwas Fundamentales verändert hätte. Die Klimaproblematik drängte bereits auf die Abstimmung über das CO₂-Gesetz hin. Und sie tut es nach wie vor. Es ist vielmehr so, dass wir am heutigen Abstimmungssonntag eine ganz andere Ausgangslage haben als damals über das CO₂-Gesetz.
Damals wurde eine sehr intensive Kampagne von der Schweizerischen Volkspartei SVP und dem Bauernverband gefahren. Nicht direkt gegen das CO₂-Gesetz, sondern eigentlich gegen die beiden Agrarinitiativen, die gleichentags zur Abstimmung kamen. Dies hat zu einer enormen Mobilisierung der ländlichen Bevölkerung geführt und diese hat letzten Endes das CO2-Gesetz den Sieg gekostet. Das zeigte die VOX-Analyse im Nachgang der Abstimmung.
Heute sehen wir, was geschieht, wenn es nicht eine solche Mobilisierung gibt: Die Stimmbeteiligung lag heute bei 42%, also eher unterdurchschnittlich. Das war sicherlich ein Nachteil für das Nein-Lager. Was auffällt, ist, dass insbesondere in der Romandie einiges in Bewegung geraten zu sein scheint seit der Abstimmung über das CO₂-Gesetz. Der Ja-Anteil zum Klimagesetz ist deutlich höher ausfallen als noch bei dieser Abstimmung.
Sie haben die intensive Kampagne erwähnt. Auch dieses Mal wurde sie vonseiten der SVP laut geführt. Das Argument zielte vor allem auf höhere Kosten ("Stromfresser-Gesetz"). Wieso hat es nicht mehr gezogen – gerade in Zeiten der höheren Inflation?
Das ist eine spannende Frage. Die Kampagne war laut, sie wurde intensiv gefahren. Aber sie war klar weniger breit abgestützt, als das eben beim CO₂-Gesetz der Fall war. Ob das Kostenargument nicht funktioniert hat? Das würde ich nur bedingt sagen, denn es gab durchaus eine Unterstützung für dieses Argument. Wir haben im Vorfeld gesehen, dass rund 45% der Stimmberechtigten davon ausgehen, dass wegen diesem Gesetz die Kosten massiv steigen werden – im bürgerlichen Umfeld und unter Parteiungebunden waren es sogar Mehrheiten.
Aber es hat nicht diesen Durchschlag gehabt wie beim CO₂-Gesetz. Denn die Kosten bei dieser Vorlage sind sehr viel abstrakter und können nicht so unmittelbar diskutiert werden wie damals, als man über Flugticketabgaben, Benzinsteuern und andere konkrete Beispiele sprach – und alle für sich persönlich die zusätzlichen Ausgaben bei einer Annahme errechnen konnten.
Diesmal handelt es sich um eine weichere Vorlage: Es geht um Subventionen, es geht um Anreizstrukturen und weniger um direkte steuerliche Konsequenzen.
Das angenommene Klimaschutzgesetz ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. Diese war eine Weile medial sehr präsent – hat das einen Einfluss auf das heutige Resultat?
Sie war sozusagen die härtere Version des Gesetzes, über welches wir heute abgestimmt haben. Sie hätte klarere Ziele formuliert und auch die Kosten wären viel unmittelbarer durchgeschlagen. Durch den im Parlament ausgehandelten Kompromissvorschlag hat man diesem Initiativkomitee den Wind aus den Segeln genommen – und das zeigt sich jetzt an der Urne. Das ist ein relativ breit abgestütztes Ja, dass wir hier vorfinden.
Wo steht nun die Schweiz im internationalen Vergleich bei der Bekämpfung des Klimawandels?
Stand heute hat sie sicher keine Spitzenposition. Über diese Frage können wir in drei, vier Jahren nochmals ernsthaft diskutieren, wenn die effektiven Auswirkungen dieses Gesetzes sichtbar werden. Das Thema ist nach wie vor auf dem Tapet. Man weiss aus Statistiken, dass die Schweiz nicht vorne dabei ist, was etwa erneuerbare Energien angeht.
Das heutige Ja ist eindeutig. Dennoch hat die Zustimmung im Laufe der Kampagne aber abgenommen. Worauf ist es zurückzuführen? Hatte vielleicht auch die die Berichterstattung über diese Klimakleber-Aktionen einen Einfluss darauf?
Das ist schwierig auf einzelne Faktoren herunterzubrechen. Was man sicher gesehen hat, ist, dass die Klimajugend 2019 um die Wahlen zu einer positiven Aufbruchstimmung in der Umweltpolitik beigetragen hat. Seither sind Teile dieser Klimajugend vor allem wegen aufmerksamkeiterregenden Aktionen unter Druck der Öffentlichkeit geraten und selbst die Grünen haben sich davon distanziert. Die Einheit innerhalb des grünen Lagers ist seither etwas gebrochen. Wichtiger war aber wohl der Schub des Kostenarguments während der Hauptkampagnenphase.
Das Kostenargument hat also bei gewissen Teilen der Bevölkerung durchaus verfangen. Was waren sonstige Argumente gegen dieses Gesetz?
Rund 40% der Stimmberechtigten waren einverstanden mit der Aussage, dass die vorgesehenen Massnahmen die Energiekrise und den Strommangel verschärfen könnten. Das ist ein Argument, das über den Kampagnenverlauf an Zustimmung gewonnen hat.
Ein weiteres Argument ist, dass die Landschaft durch Solarpanels oder Windräder verschandelt werde. Also ein zu erwartendes öko-konservatives, bewahrendes Argument, wenn es um die Landschaft geht, auch wenn es um den Tourismusstandort geht.
Mutmasslich lehnten regierungskritische Kreise dieses Klimaschutzgesetz da. Gehören sie, weil gleichzeitig auch das dritte Covid-Referendum abgelehnt wurde, nun zu den zu den Verlierern dieses Sonntags?
Die Behörden haben sich mit ihrer Position heute dreimal durchgesetzt. Insofern haben behördenkritische Kreise diesen Sonntag tatsächlich verloren. Man kann aber auch umgekehrt argumentieren, dass sie mit ihrer Kritik an diesen Vorlagen doch relevante Teile der Bevölkerung erreicht haben.
Ich würde also diese Bewegung nicht totschreiben. Aber sie war und ist nicht wirklich mehrheitsfähig. In der Schweiz haben wir nun mal weitaus mehr Menschen, die der Regierung und dem Parlament grundsätzlich vertrauen als solche, die misstrauisch eingestellt sind.
Die Stimmanteile sind wieder ein zurückgegangen respektive haben sich im langjährigen Durchschnitt eingependelt. Nützen sich die Effekte der Pandemie langsam endgültig ab, was das Abstimmungsverhalten angeht?
Ja, es sieht so aus, als ob wir langsam zurück zum Courant normal kommen. Das sieht man sicherlich an der Stimmbeteiligung, die sich nun wieder auf dem gewohnten Niveau bewegt. Es ist auch nicht mehr alles so aufgeheizt wie im unmittelbaren Umfeld der Pandemie, wo wir Abstimmungen mit Rekordbeteiligung hatten.
Was ebenfalls auffällt: Während der Pandemie war die Erfolgsquote von Referenden sehr hoch. Da war tatsächlich ein gewisser Missmut spürbar und greifbar, wenn es um Vorschläge der Behörden ging an der Urne. Diese Erfolgsquote lag im unmittelbaren Pandemie-Umfeld bei 46%. Im Zeitraum zwischen 2000 bis 2019 lag sie bei 26%.
Rund ein Viertel der Referenden ist also normalerweise erfolgreich, während der Pandemie waren es deutlich erhöhte Werte. Von dieser Stimmung ist heute nicht mehr viel spürbar.
Was speziell ist an diesem heutigen Sonntag: Es ist die erste Abstimmung nach neun Monaten. Hatte das Einfluss auf das Verhalten?
Das ist schwierig zu eruieren. Es war allerding die letzte Abstimmung vor den Wahlen. Also das letzte grosse Fenster, während dem sich die Parteien noch profilieren konnten.
Giannis Mavris, «SWI swissinfo.ch» (18.06.2023)
Hier publiziert Sustainable Switzerland kuratierte Inhalte von SWI swissinfo.ch.
Dieser Artikel behandelt folgende SDGs
Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.
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