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Bild: Matéo Broquedis / Unsplash

Klima & Energie

Flächendeckende Vergünstigungen im öffentlichen Verkehr sind nicht das richtige Mittel für die Verkehrswende

Verschiedene europäische Staaten setzen auf flächendeckende und zum Teil radikale Preissenkungen, um mehr Menschen auf den öffentlichen Verkehr zu lenken. Die Schweiz sollte bei der Übernahme solcher Massnahmen jedoch Vorsicht walten lassen.

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Kein Sektor hierzulande emittiert so viel CO2 wie der Verkehr. Selbst ohne die internationale Luftfahrt verursacht dieser 38 Prozent der Emissionen. Autos, Last- und Lieferwagen fallen hierbei mit zusammen 92,6 Prozent deutlich stärker ins Gewicht als Busse (3,0 Prozent) und die Bahn (0,2 Prozent).

Auch wenn die Schweiz aufgrund des hauptsächlich mit Wasserkraft betriebenen Bahnsystems einen Sonderfall darstellt, gilt das Verdikt auch für andere Länder: Mehr öffentlicher Verkehr (öV) bedeutet in der Regel mehr Flächen- und Energieeffizienz. Folglich ist das Bestreben, mehr Menschen zur Nutzung des öV zu bewegen – zumindest klimapolitisch –, ein erstrebenswertes Ziel.

Was bringt eine Lenkung über Preise?

Doch wie wird dieses Ziel am besten erreicht? Am schnellsten und einfachsten, da quasi per Mausklick, lassen sich die Preise verändern. Und so sind diese im pragmatisch-opportunistischen Politikbetrieb auch ein zunehmend beliebtes Mittel, wie im europäischen Umfeld zu beobachten ist: Mit dem «Deutschland-Ticket», dem Nachfolger des 9-Euro-Tickets, kann man auch heute noch für 49 Euro pro Monat deutschlandweit den Nah- und Regionalverkehr nutzen.

Das «Klima-Ticket Ö», das österreichische Pendant zum Generalabonnement (GA), kostet jährlich 1095 Euro. Damit kostet dieses selbst kaufkraftbereinigt nur rund halb so viel wie sein schweizerischer Cousin. Noch weiter gehen Luxemburg und Tallinn (Estland), deren Einwohner den öV seit einigen Jahren gar kostenlos nutzen. Doch ist die schnellste auch die beste Lösung?

Tatsächlich gibt es neben der Möglichkeit von CO2-Reduktionen weitere Argumente, die für flächendeckende Preissenkungen sprechen, denn solche werden in der Regel mit Flat Rates, also Pauschalfahrausweisen ohne Nutzungslimit, umgesetzt. Dies ist aus Kundensicht komfortabel: Ticketkäufe entfallen, während gleichzeitig die Spontaneität wie auch die finanzielle Planbarkeit erhöht werden.

Gesamtgesellschaftlich müssen wir uns aber deutlich gegen Preisvergünstigungen nach dem Giesskannenprinzip aussprechen. Dagegen sprechen sowohl die Wirtschaftlichkeit als auch die Machbarkeit und die Wirksamkeit solcher Massnahmen.

Hinsichtlich Wirtschaftlichkeit geht es nicht darum, ökonomische gegen ökologische Argumente auszuspielen. Aus verschiedenen Gründen, wie beispielsweise die Reduktion von Wartezeiten für öV-Nutzende, ist eine grundsätzliche Beteiligung des Staates am öV erwünscht. Radikal günstige Flat Rates hätten jedoch sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite drastische Konsequenzen für den öV, was diesen in der Folge schwächen würde.

Statt sich durch attraktive Angebote um Konzessionen zu bemühen, würde er drangsaliert, sich noch mehr an finanziellen Verteilungskämpfen zu beteiligen. Derweil hätten die undifferenzierten Preise zur Folge, dass bestehende Kapazitäten in den Stosszeiten durchbrochen würden.

Doch weitere Kapazitäten sind heute nur noch zu Milliardenbeträgen realisierbar. Infrastrukturausbauten bedingen ihrerseits Folgekosten im Betrieb und im Substanzerhalt. Doch das Problem ist nicht rein finanzieller Natur. Ausbauten, gerade wenn sie parallel zum laufenden Betrieb zu erfolgen haben, sind nicht beliebig skalierbar. Über sämtliche Projektierungsschritte dauern sie zudem Jahrzehnte. Und es ist zu befürchten, dass sich der Fachkräftemangel in technischen Berufen hartnäckig zeigen wird. Pauschale Preissenkungen sind daher zwar einfach zu beschliessen, was die ausgelösten Folgeeffekte betrifft, jedoch nicht so einfach machbar.

Verbleibt die Wirksamkeit: Sowohl in Österreich wie auch in Tallinn konnte eine stärkere ÖV-Nutzung bestätigt werden. Ein beträchtlicher Anteil der zusätzlichen Klima-Ticket-Reisen war jedoch «induziert», was bedeutet, dass diese sonst gar nicht getätigt worden wären – auch nicht mit dem Auto. Auch in Tallinn führte der Gratis-ÖV (und die gleichzeitig vergrösserte Busflotte) zu einem Anstieg der ÖV-Nutzung. Der Grossteil davon ging jedoch zulasten des Langsamverkehrs. Wenn nun der öV aber anstelle des Velos genutzt wird, kann ökologisch nicht von einer effektiven Massnahme gesprochen werden.

Nicht pauschal beim Preis ansetzen

Was ist zu tun? Fakt ist: Bereits heute wäre der öV in der Schweiz in der Lage, deutlich mehr Menschen zu transportieren. Im Jahr 2022 betrug die durchschnittliche Auslastung bei den SBB lediglich 24 Prozent. Diese Ressource gilt es zu nutzen. Primär soll dies mit einem attraktiven Angebot erreicht werden, etwa durch eine hohe Fahrplanstabilität und integrierte Reiseketten.

Preissenkungen sind nur dort anzusetzen, wo Platz vorhanden ist. Dies ist nicht «pauschal» der Fall – also nicht zu jeder Zeit und auf jeder Strecke. Assoziiert mit Tageszeiten, Wochentagen, Kundensegmenten und Kundengruppen jedoch lassen sich sehr viele Situationen bestimmen, in welchen auch deutliche Vergünstigungen zur Problemlösung beitragen könnten.

Um einen substanziellen Beitrag fürs Klima zu leisten, sind ÖV-Preise jedoch nur ein komplementäres Instrument. So unbeliebt sogenannte «Push-Massnahmen» wie Parkplatzbeschränkungen und (zusätzliche) Treibstoffabgaben sind: Wenn unerwünschtes Verhalten reduziert werden soll, ist die gezielte Überwälzung der verursachten Externalitäten effektiver als eine Vergünstigung an einem anderen Ort. Dies gilt speziell für undifferenzierte Preissenkungen. Letztlich machen diese den öV teurer, nicht günstiger. Dies ist keine gute Voraussetzung für die Verkehrswende.

Hannes Wallimann, Widar von Arx und Silvio Sticher, «Neue Zürcher Zeitung» (28.02.2024)

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