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Extremereignisse werden schon bald zur Dauerkrise

«Wir alle haben nur ein Puzzleteil der Lösung», sagt Klimaforscherin Sonia Seneviratne. Bild: Anne Morgenstern / ETHZ

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Extremereignisse werden schon bald zur Dauerkrise

Wir erinnern uns an den verregneten Sommer im vergangenen Jahr. Weite Teile der Schweiz litten unter Hochwasser und Schlammlawinen, im Tessin dagegen herrschte starke Trockenheit. Warum sich solche extremen Wetterereignisse häufen werden, erklärt ETH-Klimaforscherin Sonia Seneviratne.

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Auch wenn es manche noch immer nicht wahrhaben wollen: «Die globale Erwärmung ist klar menschengemacht. Das bestätigt der letzte Weltklimaratsbericht», sagt Sonia Seneviratne und sucht dazu gleich die entsprechenden Zahlen heraus. «Die Menge an CO₂-Emissionen hat sich seit 1880 verzehnfacht. Wir sind nicht etwa für einen Viertel oder die Hälfte der beobachteten Erwärmung verantwortlich, sondern für die gesamte Klimaerwärmung.» Das bestürzt Seneviratne. Als Professorin für Landklimadynamik an der ETH Zürich erforscht sie Klimaextremereignisse und deren Auswirkung auf Landgebiete mit Fokus auf bewohnte Regionen, Wälder und die Landwirtschaft. Die negativen Folgen des Klimawandels seien schon heute zu erkennen und zu spüren. Zum Beispiel an Extremereignissen wie Hitzewellen, Starkniederschlägen oder Trockenheit.

Frau Seneviratne, Sie beobachten den Klimawandel an vorderster Front. Ist die Welt wirklich dem Untergang geweiht, um es drastisch zu formulieren?

Sonia Seneviratne: Wenn wir den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen nicht bald schaffen, dann steigen die Gefahren für Menschen und Natur weiter rasant. Aktuell haben wir die Marke von 1,1 Grad erhöhter Temperatur überschritten, weshalb wir die Folgen jetzt schon spüren. Hitzeextreme, die in einer Welt ohne unseren Einfluss auf das Klima alle 10 Jahren stattfinden würden, finden schon jetzt dreimal häufiger statt. Mit 1,5°C globaler Erwärmung würden sie viermal so oft stattfinden, und mit 2°C globaler Erwärmung sogar sechsmal. Der Mensch ist nicht für diese enorme Wärme gemacht. Schon heute sind ein Drittel der Hitzetoten in der Schweiz auf die Klimaerwärmung zurückzuführen.

Warum ist der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen so zentral?

Die jetzigen CO₂-Emissionen sind zu 85 bis 90 Prozent auf die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle zurückzuführen. Lag der globale CO₂-Ausstoss 1880 noch bei vier Gigatonnen, sind wir inzwischen bei knapp vierzig Gigatonnen. Das zusätzliche CO₂ in der Atmosphäre bleibt Hunderte bis Tausende von Jahren bestehen, und jede zusätzlich emittierte Tonne führt deshalb zu einer erhöhten Erderwärmung. Deswegen braucht es den sofortigen Ausstieg oder zumindest eine schnelle Übergangsperiode.

Wie würde die Welt im Jahr 2050 aussehen, wenn wir jetzt nicht handeln?

Der erste wichtige Schritt, um die globale Erwärmung auf 1,5°C zu stabilisieren, ist es, die CO₂-Emissionen bis 2030 mindestens zu halbieren. Wenn die Emissionen weiter steigen, würde 2050 die globale Erwärmung 2,4°C erreichen. Die Folgen wären verheerend. Hitzeereignisse würden die Norm werden und im Durchschnitt alle zwei Jahr stattfinden. Starkniederschläge würden alle fünf Jahre stattfinden. Dürren ebenfalls in vielen Regionen, darunter auch in Westzentraleuropa. Das alles würde die globale Nahrungssicherheit gefährden. Dabei macht mir die Akkumulierung von extremen Wetterereignissen am meisten Sorgen. Hitzewellen, starke Niederschläge, Überschwemmung, Austrocknung, Gletscherschmelze, Auftauen des Permafrosts, rutschende Hänge – das alles würde zukünftig häufiger passieren. Also wären wir fast ständig im Krisenmodus. Und das weltweit.

Ab wann werden solche Krisen Alltag?

Wir könnten bald ein solches Szenario erleben: Durch die Hitzewelle in Indien, die aktuelle Trockenheit in Frankreich und Deutschland und den Krieg in der Ukraine könnte es möglicherweise diesen Sommer zu Nahrungsengpässen kommen. Dabei beeinflusst das Klima in diesem Jahr nur einen Teil des Problems, aber mit zunehmender globaler Erwärmung wird der Einfluss immer grösser. Während der Covid-19 Krise haben wir gesehen, dass bereits bei Maskenengpässen Länder den Handel einschränkten. Wir Schweizer:innen wähnen uns oft in falscher Sicherheit, weil wir ein reiches Land sind. Bei Nahrungsengpässen würde uns das im schlimmsten Fall nichts nützen. Wir sind stark von Lieferketten und deshalb von Klimaverhältnissen in anderen Ländern abhängig.

Müssen wir uns auf die Autarkie vorbereiten?

Nein, das würde in der Schweiz nicht gehen, das Land ist zu klein. Wegen der Bergregionen haben wir auch nicht genug Fläche, um alle zu ernähren. Viel lieber schauen wir, dass wir ein gutes Verhältnis zu unseren Nachbarn pflegen und uns dafür engagieren, dass die Klimaerwärmung global auf etwa 1,5°C stabilisiert werden kann.

«Die Akkumulierung von extremen Wetterereignissen bereitet mir am meisten Sorgen.»

Sonia Seneviratne

Was halten Sie von Massnahmen, die CO2 neutralisieren – zum Beispiel Aufforstung oder Direct Air Capture Technologien, welche die Luft regelrecht filtern?

Bäume zu pflanzen, wird nicht ausreichen, um Netto-Null zu erreichen. Ausserdem ist das mit der Aufforstung so eine Sache. Einfach irgendwo Flächen anzupflanzen, geht nicht, oft fehlt es an Transparenz. Es braucht lange, bis die Bäume wachsen. Wir müssen unsere CO2-Emissionen bis 2030 halbieren, das geht nicht auf. Mit zunehmender Erwärmung erhöht sich ausserdem das Risiko nach Bränden. Aufforstungsprojekte müssen also gut durchdacht werden und sollten nicht nur für Greenwashing-Zertifikaten dienen. Direct Air Capture Technologien helfen sicherlich, jedoch konnten diese bisher nur sehr gering eingesetzt werden. Das Volumen müsste stark erhöht werden. Climeworks, ein ETH-Spin-off, ist dabei ein vielversprechendes Startup und sammelte kürzlich 600 Millionen in einer Finanzierungsrunde, um neue Grossanlagen bauen zu können. Aber auch im besten Fall werden die CO2- Mengen, die damit aufgenommen und gespeichert werden, nur einen kleinen Teil, höchstens 10 Prozent, der jetzigen Emissionen betragen. Dies soll primär als Kompensation für Emissionen dienen, die schwer vermeidbar sind, zum Beispiel bei der Abfallverbrennung, bei einem Teil der Zementindustrie, und bei Flügen, die nicht vermeidbar sind. Deshalb ist es viel wichtiger, den Anteil an fossilen Energieträgern massiv zu reduzieren, vor allem bei der Heizung und im Verkehr.

Sollte die Politik strengere Gesetze verabschieden, um den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen voranzutreiben?

Es ist klar, dass wir momentan nicht auf Kurs sind. Da ich Klimaforscherin bin und nicht Politikerin, beurteile ich diese Frage als Bürgerin. Spannend zu beobachten ist, dass Gesetze, die Erfolg haben, oft auf Verboten basieren. Dann sind alle nämlich gleichermassen betroffen. Dass das CO2-Gesetz abgelehnt wurde, hatte unter anderem damit zu tun, dass viele glaubten, dass es unfair sei und zu teuer für die Einzelnen. In der Realität hätten die meisten in der Schweiz am Ende eher davon profitiert. Ein interessantes Beispiel aus dem Kanton Glarus zeigt aber, dass die Bevölkerung sehr wohl bereit ist für die Veränderung. An der Landesgemeinde stimmten sie letzten September ab, das Heizen mit Öl oder Gas komplett zu verbieten – sowohl bei Neubauten wie bei Renovationen. Ein junger Mann namens Kaj Weibel ergriff das Wort an der Versammlung und überzeugte die Anwesenden. Das, obwohl 60 Prozent der Glarner:innen gegen das viel weniger strenge CO2-Gesetz gestimmt hatten.

Sind Sie also zuversichtlich, dass die Gletscher-Initiative angenommen wird?

Damit soll der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen bis 2050 garantieren werden, eine sehr gute Initiative. Ausserdem verlangt sie auch mindestens einen linearen Absenkpfad, sprich: Die Treibhausgasemissionen werden jährlich um denselben Betrag reduziert, was garantiert, dass die Emissionen sofort nach der Implementierung der Initiative reduziert werden. Aktuell wird zur Initiative ein indirekter Gegenvorschlag ausgearbeitet, der den Zielen der Gletscher-Initiative gerecht werden könnte. Damit würde wertvolle Zeit gespart. Denn: Wird der Gegenvorschlag angenommen, würde dieser als Gesetz sofort in Kraft treten.

Was gibt es sonst noch, was Ihnen Hoffnung bereitet?

Die vielen schlauen Köpfe, welche ich an der ETH treffe. Gerade im Bereich Klima und Energie wird viel geforscht und gearbeitet. Ich sehe enormes Potenzial, jedoch braucht es einen verstärkten Austausch zwischen den einzelnen Departements. Das Wissen soll gebündelt werden. Wir alle haben nur ein Puzzleteil der Lösung. Das müssen wir zusammensetzen, damit ein umfassendes Bild der Zukunft entstehen kann.

Welchen Einfluss hat die ETH auf die Gesellschaft?

Die ETH und andere Universitäten und Bildungsstätten spielen eine wichtige Rolle, gerade im Bereich Umweltwissenschaft und in der Forschung. Wir kommunizieren Fakten und konzipieren Lösungswege. Neben den Informationen stellen wir Alternativen zur Verfügung, warnen aber auch vor den Risiken – so wie jetzt, wenn es um die Ener- gieträger und den Klimawandel geht.

Welches ist Ihr persönlicher Beweggrund, sich für eine enkelfreundliche Zukunft zu engagieren?

Ich habe selbst zwei kleine Kinder und will mich für sie und zukünftige Generationen einsetzen. Am Ende meines Lebens will ich nicht zurückschauen und denken, dass die Weltlage in schlimmerer Verfassung ist als bei meiner Geburt. Die Klimakrise geht uns alle an, und ich bin dankbar, mich hierfür an der ETH engagieren zu können.

Nachhaltigkeit in Ihren Worten?

So zu handeln, dass zukünftigen Generationen nicht negativ beeinträchtigt werden.

ETH Zürich

Freiheit und Eigenverantwortung, Unternehmergeist und Weltoffenheit: Die Werte der Schweiz sind das Fundament der ETH Zürich. 540 Professorinnen und Professoren bilden rund 23’000 Studierende aus über 120 Ländern aus. Gemeinsam forschen sie in Natur- und Ingenieurwissenschaften, Architektur, Mathematik, systemorientierten Wissenschaften sowie in Management- und Sozialwissenschaften. Einer ihrer strategischen Schwerpunkte ist die Nachhaltigkeit: Die ETH Zürich ist führend in Klimaforschung, vorbildlich in Sustainability-Lehre und Vorreiter in Anwendung modernster Umwelttechnologien auf ihrem Campus.

Deklaration: Dieser Inhalt wurde von NZZ Content Creation im Auftrag von Sustainable Switzerland erstellt.

Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

13 - Massnahmen zum Klimaschutz

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