Herr Wenger, wie nachhaltig sind Sie unterwegs?
Ronald Wenger: Das Thema beschäftigt mich seit vielen Jahren beruflich wie privat. Zertifizierter Strom, E-Mobilität oder energieeffiziente Haushaltsgeräte, das gehört für mich zum Alltag. Es sind gängige Möglichkeiten, dem Klimawandel als Individuum entgegenzuwirken, ohne dass beim Komfort Abstriche gemacht werden müssen.
Als Marktmanager Antriebstechnik bei ABB Schweiz betätigen Sie diesbezüglich weit grössere Hebel auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Welche Rolle spielt die Energieeffizienz in diesem Kontext?
Eine absolut zentrale. Bis 2050 dürfte die Weltbevölkerung laut Prognosen der Vereinten Nationen von 8 Milliarden auf 9,7 Milliarden wachsen. Im gleichen Zeitraum wird sich die Weltwirtschaft gemäss Schätzungen verdoppeln. Urbanisierung, Automatisierung und der Anstieg des Lebensstandards werden den Energiebedarf nicht verringern, sondern deutlich erhöhen. Gleichzeitig müssen wir die CO2-Emissionen reduzieren. Energieeffizienz ist einer der einfachsten und wirkungsvollsten Lösungsansätze, um dem Klimawandel entgegenzutreten.
Woraus ziehen Sie diesen Schluss?
Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Technologien, um die Energieeffizienz zu steigern, sind vorhanden, man muss also nichts neu erfinden. Die Internationale Energieagentur hat errechnet, dass die jährlichen Steigerungen der Energieeffizienz bis ins Jahr 2030 verdoppelt werden müssen, damit die im Übereinkommen von Paris festgehaltene Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad per 2050 erreicht werden kann. Argumente, die für sich sprechen.
In welcher Form und Intensität fliessen die Aspekte der Energieeffizienz konkret in das Wirken von ABB Schweiz ein?
ABB Schweiz möchte bei der Energieeffizienz mit gutem Beispiel vorangehen. Wir ermitteln beispielsweise mithilfe von Energiemanagementsystemen exakt den eigenen Energiebedarf. Dies wiederum ermöglicht es uns, effektive Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz umzusetzen. Licht, Lüftungen und Heizungen herunterfahren, wenn sie nicht benötigt werden, konsequente Umrüstung auf Elektromobilität, flächendeckende Installation von hocheffizienten Elektromotoren, Wärmepumpten und konsequente Nutzung von grünem Strom – das sind ein paar Beispiele aus der Praxis.
Wo setzen Sie den Hebel mit Blick auf Kundschaft und Produkte an?
An denselben Stellen wie im eigenen Unternehmen. Stichworte sind auch hier Smart Buildings, Internet of Things, Energiemanagement und Energiemonitoring. Bei den Produkten gilt der Fokus den hocheffizienten Motoren und Frequenzumrichtern. Viele Motoren laufen heute ständig unter Volllast. Mit Frequenzumrichtern kann die Geschwindigkeit von Motoren präzise angepasst werden, um die Energieverschwendung zu minimieren und die Produktionsprozesse zu optimieren. Wenn man bedenkt, dass Elektromotoren heute rund 40 Prozent der weltweit produzierten elektrischen Energie verbrauchen, kommt den Frequenzumrichtern sicherlich eine Schlüsselrolle zu.
Können Sie uns Beispiele aus der Praxis liefern?
Beim Papierhersteller Model haben wir 36 alte Motoren durch neue ersetzt und moderne Frequenzumrichter installiert. Dadurch sind jährlich Energieeinsparungen möglich, die dem Verbrauch von 200 Haushalten entsprechen. Oder die Standseilbahn Sierre – Crans-Montana: Hier sorgt inzwischen ein cleveres Antriebs- und Energiemanagementsystem inklusive Solaranlage und Energiespeicher dafür, dass an einem sonnigen Tag die Hälfte der benötigten Antriebsenergie vor Ort produziert werden kann.
Vorwärtskommen und Energie sparen, heute kein Widerspruch mehr.
So kann man es sagen, ja. Ein gutes Beispiel ist sicherlich auch jenes der SBB und ihrer 119 «Lok2000», die wir unlängst mit modernen Traktionsumrichtern ausgestattet haben. Die bekannten roten Lokomotiven haben allesamt bereits dreissig Jahre auf dem Buckel, werden jetzt aber sicherlich noch einmal zwanzig Jahre verkehren – und dank der technischen Optimierung jährlich 30 Gigawattstunden Energie einsparen. Das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von rund 10 000 Haushalten oder jenem einer Stadt in der Grössenordnung von Olten. Das waren jetzt ein paar prominente Namen. Wie sieht es hinsichtlich der Sensibilität in Sachen Energieeffizienz beim Gros der Schweizer Unternehmen aus? Die Sensibilität an sich ist meiner Ansicht nach gegeben, nicht zuletzt aufgrund von Meldungen über Strommangellage, Versorgungslücken und volatile Märkte. Allerdings schrecken viele gerade mittlere und kleine Betriebe nach wie vor davor zurück, wirklich aktiv zu werden.
Wohl der Kosten wegen, oder?
Sie sagen es – wobei diese Annahme auch ein bisschen trügt. ABB hat im Jahr 2022 eine Umfrage durchgeführt. Sie hat ergeben, dass die befürchteten Kosten als das grösste Hindernis hin zu mehr Energieeffizienz erachtet werden, gefolgt von den erwarteten Ausfallzeiten.