Schon beim Betreten der Werkstatt von «Wir lernen weiter» in Merenschwand im Kanton Aargau hört man das leise Summen mehrerer Laptops, die, feinsäuberlich aufgereiht, aufbereitet werden. Gerade wird ein neues Betriebssystem installiert. Weiter hinten im Raum tauscht ein Mitarbeiter vorsichtig die Festplatte eines Laptops aus, während ein anderer die bereits fertig aufbereiteten Geräte sorgfältig für den Versand verpackt. Mehr als 12 500 Laptops haben diesen Prozess seit der Gründung von «Wir lernen weiter» im Frühjahr 2020 erfolgreich durchlaufen. Die fertigen Geräte werden an armutsbetroffene Menschen in der Schweiz weitergegeben.
Entstanden ist der Verein mitten in der Corona-Pandemie, als Gründer Tobias Schär bemerkte, dass vielen finanziell benachteiligten Menschen der Zugang zu digitalen Geräten fehlte – was ihre Bildungs- und Karrierechancen drastisch einschränkte. «Digitalisierung darf kein Privileg für Besserverdienende sein», betont der 30-Jährige. «Daher wollen wir allen Menschen in der Schweiz den Zugang zur digitalen Welt ermöglichen. » Um diesem Ziel gerecht zu werden, arbeitet der Verein eng mit Sozialämtern, Integrationsstellen und Hilfsorganisationen zusammen. Mehr als tausend Schweizer Gemeinden sind inzwischen Teil des Partnernetzwerks von «Wir lernen weiter». «Dadurch können wir sicherstellen, dass die Geräte wirklich bei denjenigen ankommen, die sie am dringendsten benötigen», sagt Schär.
Mehr als 3000 Lehrlinge ausgestattet
Die gebrauchten Geräte stammen aus Schulen, Gemeinden und Unternehmen aus der ganzen Schweiz. «Oft können diese Organisationen ihre alten Geräte nicht selbst weiterverwenden, weil die Datenbestände professionell und kostenaufwendig gelöscht werden müssen », erklärt Tobias Schär. «Wir bieten hier eine nachhaltige, soziale und kostenfreie Lösung an.»
Das Team von «Wir lernen weiter», das mittlerweile aus vier fest angestellten Mitarbeitern besteht, löscht die Daten, prüft die Geräte auf ihre Funktionalität und installiert ein neues Betriebssystem. Besonders gefragt sind Windows- Laptops, da diese in vielen Schulen verwendet werden. Defekte Geräte werden zur Ersatzteilgewinnung genutzt. Dank dieser effizienten Prozesse konnte der Verein seine Kapazitäten erheblich steigern. «Allein in diesem Sommer haben wir 3000 Lehrlinge mit Laptops ausgestattet », berichtet Schär stolz. Dies sei ein Anstieg von rund 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. «Ohne einen Laptop ist es heute nahezu unmöglich, Zugang zu Bildung und beruflichen Chancen zu erhalten. Dieses Verständnis ist mittlerweile auch bei den Gemeinden und Sozialämtern gewachsen.»
Eine Pinnwand zeugt von der Bedeutung ihrer Arbeit: Dankeskarten und Briefe zeigen, wie viel die Arbeit des Vereins bewegt. «Viele Menschen schreiben uns ihre erste E-Mail von ihrem neuen Laptop, um sich zu bedanken», sagt Tobias Schär lächelnd. Ein Laptop sei zwar keine Garantie, der Armut zu entkommen, aber er eröffne wichtige Chancen – und könne manchmal den entscheidenden Unterschied machen. «Es erfüllt mich sehr, ein soziales Problem zu lösen und finanzielle Ressourcen sinnvoll einzusetzen, um anderen zu helfen. Der Verein ist wie meine eigene Robin-Hood-Geschichte, mit der ich zu einer besseren Schweiz beitrage.»
Der Verein erhebt pro Laptop einen einmaligen Unkostenbeitrag: Partner, die ausschliesslich Geräte beziehen, zahlen 250 Franken pro Laptop, während Partner, die auch gebrauchte Geräte zur Aufbereitung spenden, nur 150 Franken bezahlen. «Dieses nachhaltige Kreislaufkonzept ist sehr beliebt», sagt Schär. «Vor allem für Gemeinden und soziale Organisationen gibt es schweizweit keine Alternative, um armutsbetroffene Menschen so kostengünstig mit Laptops auszustatten. » Aufgrund dieser innovativen Lösung wurde der Verein mittlerweile von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) in deren Merkblatt zur digitalen Grundversorgung aufgenommen.
Trotz seines Erfolgs steht der Verein vor einigen Hürden. «Das föderalistische Sozialsystem der Schweiz führt dazu, dass jede Gemeinde anders arbeitet », erklärt Schär. «Das macht es uns schwer, ein flächendeckendes Angebot aufzubauen.» Während in Kantonen wie Zürich bis zu 70 Prozent der Gemeinden mit dem Verein zusammenarbeiten, sei die Beteiligung in seinem Heimatkanton Aargau deutlich geringer.
Forderung nach politischer Unterstützung
Um eine landesweite Lösung zu schaffen, sieht Schär die Politik in der Verantwortung: «Unsere Arbeit ist Teil des Service Public», sagt er. «In unserer Nische sind wir systemrelevant, doch wir können das nicht allein stemmen. Um das Problem nachhaltig zu lösen, brauchen wir politische Unterstützung.»
Schärs grösstes Ziel ist es, den Zugang zu digitalen Geräten als Teil der Grundversorgung zu etablieren – und seinen Verein damit eines Tages überflüssig zu machen. Bis dahin zählt er auf die Unterstützung der Öffentlichkeit, sei es durch Laptopspenden, finanzielle Beiträge oder die Verbreitung seines Angebots.
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