Logo image
Foto: iStock
Foto: iStock

Wer Lieferketten nur an den Kosten misst und die Widerstandsfähigkeit vernachlässigt, droht Marktanteile zu verlieren. Foto: iStock

Klima & Energie Partner Inhalt: Boston Consulting Group (BCG)

Die Kunst der Balance

Kriege, Klimaschocks, Pandemien – angesichts weltweiter Krisen brauchen Unternehmen effiziente und zugleich widerstandsfähige Lieferketten. BCG empfiehlt einen neuen Ansatz: das «Cost of Resilience»-Modell.

0

Teilen
Hören
Logo image

Die Kunst der Balance

Teilen
Hören

6 Min.  •   • 

Globale Lieferketten sind wie Lebensadern für die Wirtschaft. Doch ein weitgehend reibungsloser freier Handel war gestern. Das hat viele Gründe. Ein besonders augenfälliger ist der amerikanisch- chinesische Handelsstreit, der in diesem Jahr immer wieder neu befeuert wurde. Seit April hat US-Präsident Donald Trump Zölle insbesondere auf chinesische Importe in grossem Stil ausgeweitet, einiges wieder zurückgenommen, um später erneut nachzulegen. Zeitweise erreichten die US-Zölle für Waren aus China 145 Prozent. Aber auch die Schweiz, die EU, Kanada und andere exportorientierte Handelspartner waren betroffen und reagierten zum Teil mit Gegenmassnahmen.

Die Dynamik im Welthandel hat sich 2025 intensiviert: Eine zunehmende Fragmentierung, Handelshemmnisse und geopolitische Spannungen zwingen Unternehmen dazu, ihre Beschaffungsstrategien und Produktionsnetzwerke neu zu denken. Vor diesem Hintergrund analysiert die Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG) in einer aktuellen Studie, wie Unternehmen die Balance zwischen Effizienz, also einem hohen Kostenbewusstsein, und Widerstandsfähigkeit, die wiederum Kosten verursacht, neu justieren müssen – ein Ansatz, der als «Cost of Resilience»-Modell bekannt ist.

Vier Megatrends

Die aktuellen Handelskonflikte bedeuten im Kern nichts anderes, als dass Staaten ihre ökonomische Stärke ausspielen, um eigene Interessen durchzusetzen. Darunter fallen für BCG übrigens auch gigantische staatliche Anreize in Milliardenhöhe, um die jeweiligen heimischen Industriezweige zu fördern. BCG sieht in solcher «Economic Statecraft» einen von insgesamt vier Megatrends, die das Lieferkettenmanagement von Unternehmen beeinflussen und damit vor grosse Herausforderungen stellen. Bei den drei anderen Megatrends handelt es sich um Klimarisiken, den zunehmenden Fachkräftemangel und den Siegeszug der Robotik. In ihrer Studie mit dem Titel «Balancing Cost and Resilience: The New Supply Chain Challenge» führen die Autoren aus, inwieweit diese Megatrends einen ohnehin schon vollzogenen Paradigmenwechsel in der globalen Beschaffung noch weiter antreiben.

Paradigmenwechsel? Tatsächlich hat sich laut BCG die Mentalität in der Beschaffung grundlegend geändert: Jahrzehntelang galt das Mantra «Cost is King». Hauptsache billig. Effizienz, Massenproduktion, Just-in-Time-Lieferung und Verlagerung von Produktion in Niedriglohnländer waren das Mass aller Dinge.

Dann kam Covid-19. Und 2022 griff Russland die Ukraine an. Plötzlich standen Fabriken still, Lieferketten rissen ab, wichtige Bauteile fehlten, Preise gingen durch die Decke. Es folgte ein radikaler Schwenk im Lieferkettenmanagement hin zur Devise «Resilienz um jeden Preis». Unternehmen reagierten mit der Rückerverlagerung von Produktion, höheren Lagerbeständen und doppelter Absicherung, Diversifikation der Lieferketten mit mehr Nähe zu den Absatzmärkten… Doch das ist teuer – zu teuer. Die Explosion der Zölle 2025 dürfte einen Wendepunkt markiert haben. Denn BCG rechnet vor, dass heute dadurch immerhin 20 bis 30 Prozent der Gewinnmargen (EBIT) in sämtlichen Industrien auf dem Spiel stehen. Auch wenn sich natürlich schnell wieder alles ändern könnte.

Agil auf Störungen reagieren

Doch im Sinne des Vorsorgeprinzips steht nun jedes Unternehmen vor der zentralen Frage: Wie kann man im Lieferkettenmanagement global wettbewerbsfähig bleiben und sich zugleich resilient aufstellen? BCG empfiehlt ein Betriebsmodell auf Basis einer «Kosten der Resilienz»-Mentalität. Die grosse Kunst besteht hierbei darin, Produktions- und Beschaffungsnetzwerke zu etablieren, die agil auf neue Hürden und unerwartete Störungen reagieren können, ohne Margen oder Marktanteile einzubüssen.

Dr. Johanna Pütz, Partnerin bei BCG und Expertin für Klima und Nachhaltigkeit mit Fokus auf Industriegüter und den Automobilsektor, bringt den Ansatz so auf den Punkt: «Wer Lieferketten nur an Kosten misst, wird in dieser Dekade Marktanteile verlieren. Der neue Standard ist der Cost of Resilience: Widerstandsfähigkeit als gezielte Investition, nicht als Zusatzkosten – verankert in Strategie, Budgets und Entscheidungen.»

Dieser Wandel im Management ist möglicherweise leichter gesagt als getan. Die alten Erfolgsrezepte, davon ist man bei BCG überzeugt, reichen jedenfalls nicht mehr aus. Denn die aktuellen Trends bringen selbst frühere Kostenführer ins Straucheln. Was also ist zu tun?

Dazu noch einmal ein Blick auf die Megatrends, Stichwort Klimarisiken: BCG hat bei einer Untersuchung der 50 grössten Produktionszentren weltweit errechnet, dass etwa acht Prozent der globalen Produktion durch Klimarisiken gefährdet sind, insbesondere die Elektronikfertigung und die Halbleiterproduktion in Asien. Johanna Pütz betont daher: «Klimabedingte Extremwetter sind längst kein ESG-Nebenthema mehr, sondern ein operatives Risiko: Rund ein Drittel des weltweiten Hafenumschlags ist hoher Gefährdung ausgesetzt.» Das zwingt Unternehmen, erst einmal diese Risiken für ihre Standorte zu identifizieren. Eine solche erweiterte Risikoanalyse sehen übrigens die Schweiz und die EU in ihren Vorgaben beziehungsweise Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung vor. Die BCG-Geschäftsführerin und Partnerin macht klar: «Resilienz beginnt mit Transparenz, gefolgt von Standort- und Netzwerkentscheidungen – nicht erst im Krisenfall, sondern als Teil der strategischen Planung»

Das nächste Risiko, das es zu managen gilt, ist der Arbeitskräftemangel – heute zunehmend auch im Blue-Collar- Bereich, also in der Fertigung. Die gute Nachricht: Laut BCG möchten 23 Prozent der globalen Fachkräfte aktiv ins Ausland wechseln. Unternehmen, die auf diesem globalen Arbeitsmarkt mithalten wollen, müssen allerdings politische Lobbyarbeit betreiben und selbst fit dafür sein: Es geht um Visabestimmungen, Einwanderungspolitik und Ausbildungsprogramme, aber auch um Standortentscheidungen und ein kluges Employer Branding. Denn die besonders gefragten digitalen Talente suchen technologieorientierte Arbeitgeber und lebenswerte Grossstädte mit guter Tech- Infrastruktur. Nicht von ungefähr verlegte Oracle seinen Hauptsitz in die «Silicon Hills» von Austin in Texas.

Die Suche nach qualifizierten Fachkräften hängt auch eng mit dem Trend zur Einführung von Robotik zusammen. Diese disruptive Innovation könnte laut BCG vor allem dem Automobilsektor und der Logistik einen Produktivitätsschub um bis zu 50 Prozent verschaffen. China hat zwar bei der Installation von Robotern weltweit die Nase vorn. Doch in der Produktion, Forschung und Anwendung sind Japan und Westeuropa führend. Wenn aber durch Robotik die Kosten drastisch sinken, stellt sich die Frage nach dem Sinn einer globalen Produktion mit ihren Lieferkettenproblemen.

Wettbewerbsfähigkeit sichern

Die Prüfung all dieser Trends inklusive Szenarienanalysen zur Geopolitik und zum Klima und die daraus folgende Festlegung der Strategie sind also unverzichtbar. So unterschiedlich Branchen «ticken» mögen: Erfolgreiche Unternehmen setzen laut BCG auf ähnliche Massnahmen. Sie eröffnen mehr Standorte für die eigene Produktion, diversifizieren jene der Zulieferbetriebe und sichern sich ab, indem sie mehrere Lieferanten für ein und dasselbe Produkt unter Vertrag nehmen (Dual Sourcing). Zudem bauen sie verstärkt auf regionale statt globale Lieferketten, auf Joint Ventures und multinationale Lieferkettenbroker, die mit Fabriken in vielen Ländern für mehr Flexibilität in der Beschaffung sorgen. Last, but not least brauchen Unternehmen auch die dafür geeigneten Lieferkettenexperten (s. Kasten). Diese Führungskräfte müssen ein breiteres Spektrum an Risiken als bisher managen und entsprechende Leistungsindikatoren im Unternehmen etablieren, mit denen sich der Gesamtwert der Beschaffung messen und Kompromisse zwischen Kosten und Resilienz bewerten lassen. Unternehmen, die es schaffen, beides auszubalancieren, sichern sich nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten wachsender Unsicherheit.

Foto: BCG

Dr. Johanna Pütz BCG Partnerin bei BCG

Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von BCG (Boston Consulting Group) erstellt.

Werbung

Beliebteste Artikel

Empfohlene Artikel für Sie

Foto: Adobe Stock
Wirtschaft

«Risiken proaktiv managen»

Foto: Adobe Stock
Wirtschaft

Klimawandel: Auch für Unternehmen drängt die Zeit

Foto: BMW
Produktion & Konsum

Mehr Nachhaltigkeit in der Lieferkette

Ähnliche Artikel

Foto: Adobe Stock
Produktion & Konsum

Wohlstand neu denken: Qualität statt Quantität

Bild der Serienproduktion bei BMW
Sustainable Start-up

Elektrisch, effizient und fahrerlos: Embotech automatisiert die Logistik

Foto: Adobe Stock
Wirtschaft

Nachhaltigkeit ist nicht das Problem – sie ist die Lösung