Manufaktur KoKoTé: Berufsbildungsprojekt für ältere Geflüchtete
Für Franz Huber ist KoKoTé schlicht eine Herzensangelegenheit. KoKoTé? Das Wort ist Suaheli und bedeutet «Wohin?». Und es ist nicht von ungefähr der Name eines ungewöhnlichen Bildungs- und Integrationsprojekts, das Huber, früher Inhaber einer familiengeführten Urner Ölhandelsfirma, vor acht Jahren zusammen mit seiner Frau Yvonne Herzog gegründet hat. Unter der gleichnamigen Marke stellen anerkannte Geflüchtete in Zusammenarbeit mit dem namhaften Designer Carsten Joergensen inzwischen ganze Kollektionen modischer Taschen und Accessoires für Privat- und Firmenkunden her. In Handarbeit aus Recyclingmaterial. Längst betreibt die Urner Manufaktur auch einen eigenen KoKoTé-Shop mitten in der Zürcher Altstadt.
Multikulturelles Team
Auf das Schicksal geflüchteter Menschen wurde Huber aufmerksam, als er als ehrenamtlicher Vermittler von Praktika und Lehrstellen für jugendliche Flüchtlinge tätig war. Er stellte fest, dass es zwar viele Angebote für junge Menschen gibt, aber fast keine für Flüchtlinge, die älter als 26 Jahre sind. Damit wollte sich Huber, heute 71, nicht abfinden. Und setzte auf eine Form der Integration, die das Potenzial dieser vielen Menschen, ihre Talente und Fähigkeiten, wertschätzt. Wie das in der Praxis aussieht, zeigt sich im Gewerbegebiet der Urner Gemeinde Schattdorf. In der hier ansässigen KoKoTé Manufaktur arbeiten rund 30 Personen in einem multikulturellen Team zusammen: Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Nigeria, Ukraine, Kolumbien, Portugal, Dänemark, der Türkei Deutschland und der Schweiz.
In der geräumigen Werkstatt entstehen nicht nur hochwertige Produkte, sondern durch Berufsbildung und bezahlte Arbeit auch Zukunftsperspektiven. So etwa für Najiba Zadozaharo, die ursprünglich mit ihren drei Kindern mit Hilfe der UNO von Syrien in die Schweiz geflüchtet ist. Sie hat bei KoKoTé eine Lehre als Textilpraktikerin absolviert und als älteste Lernende der Schweiz erfolgreich abgeschlossen. Sie bekam anschliessend eine feste Anstellung als Näherin. Auch Javad Hosseini, dreifacher Familienvater aus Afghanistan, hat diesen Weg gewählt und ist nun Textilpraktiker EBA. Sein Traum ist es, in der Schweiz eine eigene Firma zu führen.
Individuelle Förderung
Zweimal in der Woche stehen die Nähmaschinen in Schattdorf still. Die Geflüchteten erhalten insgesamt zwei ganze Tage Zeit, um Deutsch und Mathematik zu lernen und sich fit für eine Berufsausbildung zu machen. Neben dem Unterricht in der eigenen Schule des gemeinnützigen Vereins Association Equilibre an zwei Halbtagen helfen ihnen eine Mentorin oder ein Mentor, damit sie mit den Lebensumständen in der Schweiz zurechtkommen – und ein besseres Verständnis der hiesigen Gesellschaft erhalten. Man legt grossen Wert auf individuelle, persönliche Förderung – hinzu kommen regelmässige Zeiten zum Selbstlernen mit dem eigenen Laptop.
Das Bildungsangebot der Association Equilibre mit ihrem Hauptprojekt KoKoTé ist breitgefächert: So können hier Geflüchtete, die älter als 26 Jahre alt sind, ein Praktikum, ein Zwischenjahr, ein Vorlehrjahr oder eine EFZ- oder EBA-Berufsausbildung absolvieren. Bislang erlangten 14 Flüchtlinge einen Berufsbildungsabschluss. Und es gibt viele massgeschneiderte Varianten für Frauen. Gerade für Menschen, die keine oder wenig schulische Vorbildung mitbringen, ist ein Arbeitspraktikum bei KoKoTé oder einer anderen Urner Firma in Kombination mit dem Bildungsangebot eine ideale Kombination aus Arbeit und Bildung. Sie arbeiten handwerklich und erhalten Wertschätzung für ihre praktischen Fähigkeiten.
Lohnende Investition
Wie die Verantwortlichen des von Franz Huber gegründeten gemeinnützigen Vereins Association Equilibre – er fungiert als Träger von KoKoTé – erklären, ist die nachhaltige Integration älterer Geflüchtete durch Arbeit und Bildung ein Prozess, der aufwändig ist und sich über mehrere Jahre erstreckt. Doch für sie steht fest: «Die Investition lohnt sich, denn es ist das effektivste Mittel, dass Flüchtlinge ein selbstbestimmtes Leben jenseits der Sozialfürsorge erreichen.»
Und wie ist es zum Namen KoKoTé gekommen? Einen Hinweis darauf findet man auf der Website des Projekts: «Wir fragen einen Menschen häufig ‹Woher kommst Du?›, anstatt zu fragen ‹Wohin gehst Du?›»
AirWork & Heliseilerei: Win-win für Geflüchtete und Firma
Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten produziert die AirWork & Heliseilerei GmbH (A&H) innovative Helikopter-Leinen und Rettungsmittel. Kunden des nachhaltigkeitsbewussten Unternehmens sind die Hersteller von Luft- und Raumfahrzeugen sowie Anwender bei Polizei, Militär, Feuerwehren oder Tierrettung. Zum neunköpfigen Team der Firma aus Immensee SZ gehören auch zwei Auszubildende, die als Geflüchtete aus Afghanistan in die Schweiz gekommen sind und nun bei A&H eine Lehre Textiltechnologe EBA (Seil- und Hebetechnik) absolvieren.