Dennoch warnt die Soziologieprofessorin Katja Rost vor einer generellen Klage über eine vermeintlich rückständige Schweiz. «Es wird immer wieder so dargestellt, dass die Frauen ein Opfer dieser Aufteilung seien», kritisiert Rost. Es sei aber ein Rollenmodell, das vielen Menschen entspreche. Gerade in einem wohlhabenden Land sei Karriere oft nicht der einzig mögliche Lebensweg. Wenn man kein oder nicht so viel Geld verdienen müsse und Zeit mit seinen Kindern verbringen wolle, sei das ein emanzipierter Entscheid. «Daran können sich die Gleichstellungsbüros so hart reiben, wie sie wollen.»
Salvi von Avenir Suisse sieht die Rollenaufteilung als das Ergebnis eines Zusammenspiels von individuellen Entscheidungen und der Möglichkeiten, die Frauen und Männern zur Verfügung stehen. «Mit einer weiteren Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt könnte es deshalb schwierig werden.»
Beide Geschlechter sind in der Schweiz gemäss einer Studie von Avenir Suisse mit einer Arbeitszeit von durchschnittlich 53 Stunden gleich beschäftigt, wobei die Frauen mehr Familienarbeit und die Männer mehr Erwerbsarbeit leisteten.
Die Wirtschaftsprofessorin Margit Osterloh weist darauf hin, dass viele Frauen mit Kindern auch dann bei einer Teilzeittätigkeit blieben, wenn die Kinder gross seien. Das sei keine Frage der Diskriminierung, sondern der persönlichen Lebensführung.
Grosse Unterschiede bei der Rente
Das tiefere Einkommen bzw. die tiefere Erwerbstätigkeit führt dazu, dass die jährliche Gesamtrente der Frauen um 17 293 Franken tiefer ist als diejenige der Männer. Das entspricht einem Rentenunterschied von 33 Prozent.
Erstaunlicherweise ist die Lücke in Frankreich, wo Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen viel verbreiteter ist, gemäss den Angaben mit 30 Prozent nicht wesentlich kleiner. Auch in Deutschland beträgt der Rentenabstand 30 Prozent. In Italien und Österreich, beide nicht bekannt als Vorreiter der beruflichen Gleichstellung, ist der Unterschied mit 31 bzw. 36 Prozent geringfügig höher als in der Schweiz.
Die Wirtschaftsprofessorin Margit Osterloh warnt vor diesem Hintergrund vor einer mangelnden finanziellen Voraussicht mancher Frauen. Teilzeit arbeitende Frauen bauten eine viel geringere Pension auf. Im Fall einer Scheidung trügen sie deshalb ein wesentlich grösseres finanzielles Risiko.
Tatsächlich betrifft Armut ab 65 Jahren die Frauen in der Schweiz mit 18 Prozent stärker als die Männer mit 13 Prozent. Betroffen sind vor allem geschiedene und getrennte Frauen, bei denen die Lücken in der Erwerbstätigkeit nicht mit dem gemeinsamen Haushaltseinkommen aufgefangen werden.