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Die Westfassade des EPFL-Kongresszentrums in Lausanne besteht aus Solarpaneelen, die in verschiedenen Farbtönen leuchten. Foto: EPFL / Chris Blaser

Klima & Energie Partner Inhalt: EPFL

Solarzellen nach dem Vorbild der Natur

Sonnenenergie ist eine unverzichtbare erneuerbare Energiequelle. Chemieprofessor Michael Grätzel, ein EPFL-Forscher der Spitzenklasse, hat dazu einen bahnbrechenden Beitrag geleistet. Er erfand eine Solarzelle nach biologischem Vorbild. Heute treibt er erfolgreich deren Weiterentwicklung voran.

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Solarzellen nach dem Vorbild der Natur

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Wenn es so etwas wie moderne Kathedralen der Nachhaltigkeit gibt, dann gehört das vor zehn Jahren eröffnete Kongresszentrum auf dem Campus der EPFL in Lausanne mit Sicherheit dazu. Man blicke nur auf die Westfassade aus schlank aufstrebenden Glaspaneelen in den Farbtönen Gelb, Grün, Orange und Rot. Sie ist nicht nur optisch eine Attraktion. Neben dem Look war die Funktion ausschlaggebend für das Design. Hier ist kein einfaches Fensterglas verbaut: Die Wand besteht aus 300 Quadratmetern Solarzellen – eine Weltneuheit zur damaligen Zeit.

Wer an die üblichen, dunkel verspiegelten Solarzellen auf Hausdächern und in Solarparks denkt, liegt falsch. Die Photovoltaikpaneele des SwissTech Convention Center bestehen aus sogenannten Grätzelzellen, die nicht nur anders aussehen, sondern auch anders funktionieren – weil sie den fundamentalen biologischen Prozess der Photosynthese nachahmen.

Sie sind nach ihrem Erfinder benannt, dem vielfach ausgezeichneten Chemiker Michael Grätzel. Der Schweizer deutscher Abstammung arbeitet seit vielen Jahren an der EPFL und hat massgeblich zum rasanten technologischen Fortschritt im Bereich der Solarenergie beigetragen. Dabei treibt ihn neben reinem Forschungsinteresse auch sein ökologisches Bewusstsein an. «Der Klimawandel ist eine grosse Herausforderung», sagt er. «Wir müssen auf fossile Energieträger verzichten und gleichzeitig den Einsatz von Photovoltaik um ein Vielfaches hochschrauben. Immerhin ist die Solarenergie mittlerweile eine unverzichtbare erneuerbare Energiequelle.» Nicht zuletzt dank seiner Arbeit.

Farbstoff, der Sonnenlicht in Energie verwandelt

Grundsätzlich funktionieren alle Solarzellen nach einem ähnlichen Prinzip. Sie nutzen Sonnenlicht, um elektrische Energie zu erzeugen: Aus Strahlung wird Strom. Konventionelle Solarzellen basieren auf Silizium, einem anorganischen Halbleitermaterial, das aus Quarzsand gewonnen wird. Grätzelzellen dagegen kommen ohne Silizium aus. Bei ihnen sammeln organische Farbstoffmoleküle das Licht und leiten die Energie an Nanokristalle weiter, wodurch elektrischer Strom entsteht. Ihr Vorbild sind Pflanzen, bei denen grüne Chlorophyll- Farbstoffe die Sonnenstrahlung absorbieren. Das ist der Prozess der Photosynthese: Sonnenenergie wird in Sauerstoff und in Zucker umgewandelt und damit gespeichert.

«Die Photosynthese hat mich schon als Student fasziniert », sagt Grätzel. «Dieses Interesse wurde in den 1970er-Jahren während der erste Ölkrise besonders relevant, als wir nur eingeschränkt mit dem Auto fahren und tanken durften. Damals habe ich zum ersten Mal über die Endlichkeit unserer Ölreserven und die Frage nachgedacht, wie wir sie in Zukunft ersetzen könnten. Die Antwort lag nahe: Warum nicht die Natur als Vorbild bei der Energieproduktion nehmen?»

Gesagt, getan. Zwar wollten sich auch andere Forscher von der Photosynthese inspirieren lassen. Grätzel aber gelang der Durchbruch, weil er mit seinem Kollegen Brian Regan erstmals Nanopartikel aus Titandioxid mit Farbstoff überzog. Ein innovativer Ansatz, der sich unerwartet überzeugend bewährte. «Schon der erste Versuch war aufregend, weil der Effekt, den wir erzielten, viele tausend Mal höher war als erwartet», sagt Grätzel. «Unsere Arbeit war eigentlich reine Grundlagenforschung, und auch die Solarforschung selbst steckte noch in den Kinderschuhen. Aber wir konnten daraus ein Konzept für neuartige Solarzellen ableiten.» Eine Revolution in der Photovoltaik und die Geburtsstunde der Graetzelzelle, die der Erfinder 1992 patentieren liess – und die mittlerweile in industriellem Massstab produziert wird.

Prof. Michael Grätzel

«Der Klimawandel ist eine grosse Herausforderung. Wir müssen auf fossile Energieträger verzichten und den Einsatz von Photovoltaik um ein Vielfaches hochschrauben.»

Prof. Michael Grätzel

Erfinder der Grätzelzelle

Ihre Produktion ist vergleichsweise einfach, ressourcenschonend und günstig. Der farbstoffhaltige Titanoxidfilm wird auf leitfähige Glasplatten aufgetragen. Der erneuerbare Strom, der hier entsteht, kann dann unmittelbar an ein Gerät oder zu einem Speicher transferiert werden. Die Paneele sind transparent und – im grossen Unterschied zu Siliziumzellen – auch ohne direkte Sonneneinstrahlung bei diffusem Tageslicht sehr effizient. «Selbst unter widrigen Lichtbedingungen erreichen sie einen Wirkungsgrad von bis zu 30 Prozent und sind unter diesen Umständen besser als Siliziumzellen», betont Grätzel.

Die Farbstoffzellen haben bereits Märkte gefunden, auf denen sie konkurrenzfähig sind. Etwa als Bestandteil teils grossflächiger Glasfassaden sowie in Gewächshäusern und Oberlichtern. Kleine und flexiblere Varianten eignen sich für mobile Produkte wie Kopfhörer und E-Reader. Aber auch Sensoren können so ohne direkten Anschluss ans Stromnetz versorgt werden. All diese Anwendungen waren bislang aber keine direkte Konkurrenz zu Siliziumzellen, eher eine Ergänzung.

Neue Zellen mit rekordverdächtigem Wirkungsgrad

Doch die Forschung bleibt nicht stehen, sondern macht vor allem in Hinsicht auf eine Neuerung rasante Fortschritte: Auf Grundlage der ursprünglichen Farbstoffzellen entwickelte Grätzel die metallorganische Perowskitzelle, die effizienter als die Siliziumzelle sein könnte. «Ich sehe die beiden Modelle in der Zukunft als Tandem oder die Perowskitzelle sogar als direkte Konkurrenz», sagt Grätzel. Ein Ziel, dem er mit einer aktuellen Publikation einen Schritt näher gekommen sein könnte. Zusammen mit einem Kollegen enthüllte er ein neues Design, das Perowskitzellen einen rekordverdächtigen Wirkungsgrad von mehr als 25 Prozent bei bislang unerreichter Stabilität und damit besonders langer Lebensdauer beschert. Die Forscher hoffen, dass dieser Ansatz die Kommerzialisierung der Perowskitzellen erlaubt, geeignet möglicherweise auch für Batterien und die Produktion von Wasserstoff. Wie es scheint, ist dem Einsatz solcher Hochleistungssolarzellen kaum eine Grenze gesetzt, wobei ein Produkt den Erfinder persönlich besonders freuen dürfte: ein Fahrradhelm mit Lichteffekt für mehr Sichtbarkeit. «Ich selbst fahre jeden Tag und bei jedem Wetter am Genfersee entlang nach Lausanne», erzählt Grätzel. «Ich kann ja kaum im Porsche vorfahren und dann vom ökologischen Bewusstsein predigen.»

Foto: PD

Quelle: PD

Prof. Michael Grätzel, Erfinder der Grätzelzelle

Eine einzigartige Wissenschaftskarriere

In der Welt der Wissenschaften ist Michael Grätzel, 1944 im sächsischen Dorfchemnitz geboren, wegen der Entwicklung der Grätzelzelle und weiterer Forschungsarbeiten nicht nur bekannt, sondern berühmt. Er wurde vielfach und mit den höchsten Auszeichnungen geehrt und gilt als einer der am häufigsten zitierten Wissenschaftler in gleich vier Kategorien: Chemie, Physik, Materialwissenschaften und Ingenieurwesen. Grätzel gilt seit Jahren als Anwärter auf den Nobelpreis in Chemie.

Eine einzigartige Karriere, deren Verlauf aber nicht vorgegeben war. Als junger Mann und begabter Pianist schwankte Grätzel zwischen zwei Leidenschaften, der Musik und der Wissenschaft, die ihm letztlich als die sicherere Option erschien. Also studierte er an der Freien Universität Berlin Chemie und promovierte im Jahr 1971 an der Technischen Universität Berlin im Bereich Physikalische Chemie.

Nach weiteren Stationen, unter anderem in den USA, wechselte er in die Schweiz: 1977 begann Grätzel als Associated Professor für Physikalische Chemie an der EPFL. Vier Jahre später wurde er als Professor berufen und leitet seitdem auch das Laboratory of Photonics and Interfaces. Dort forscht und doziert der Wissenschaftler – er wird am 11. Mai 80 Jahre alt – auch heute noch als ordentlicher Professor, allerdings ohne Gehalt, auf das er freiwillig verzichtet.

Deklaration: Dieser Inhalt wurde vom Sustainable Switzerland Editorial Team im Auftrag von EPFL erstellt.

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