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Bild: Annie Spratt

Klima & Energie

Schüler als «Agenten des Wandels» für die «grosse Transformation»: Viele Schweizer Lehrmittel zum Klimawandel sind tendenziös und wirtschaftsfeindlich

Die Stiftung «Éducation 21» soll Lehrer beim Unterricht über Nachhaltigkeit unterstützen. Viele der angebotenen Materialien haben eine politische Schlagseite. Gefördert werden die Projekte häufig von deutschen Organisationen oder Ministerien.

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Der Klimawandel hat viele Familien politisiert. So auch die Fischers: Kurz vor den Sommerferien ist der SUV kaputtgegangen. Wie soll die Familie jetzt ihren Alltag organisieren? Herr Fischer plädiert für ein E-Lastenrad: «Fahrradfahren würde euch allen guttun – dem Klima übrigens auch.» Die zwölfjährige Hanna will lieber ein E-Auto kaufen: «Wir müssen den Klimaschutz echt endlich ernst nehmen, Leute!» Ihr Bruder Jonathan weist darauf hin, dass für die Produktion der Batterien in den Minen Menschenrechte verletzt würden.

So oder so ähnlich wird heute Familienrat gehalten – zumindest in der etwas hölzernen Phantasie der Umweltorganisation Greenpeace. Ihr Heft «Verkehr(t)! Mobilität, Klimawandel und Perspektiven für die Zukunft» bietet Unterrichtsmaterial für die 3. bis 9. Klasse. Das Editorial beginnt mit einem Zitat von Greta Thunberg, später wird den Schülern als Vorbild eine belgische Aktivistin angepriesen, die im Kampf für saubere Luft die Strassen vor Brüsseler Schulen sperrt: «Was könntet ihr euch für eure Aktion von Annekatrien abschauen?»

Das Heft von Greenpeace zählt zu den Unterrichtsmaterialien, die im Onlinekatalog der Schweizer Stiftung «Éducation 21» zum Thema Nachhaltigkeit empfohlen werden. Die Stiftung unterstützt Schulen im Auftrag von Bund und Kantonen dabei, die «Bildung für Nachhaltige Entwicklung», kurz BNE, umzusetzen. Finanziert wird die Stiftung unter anderem durch Beiträge der Kantone und mehrere Bundesämter.

BNE ist Teil der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die 2015 von der Uno beschlossen wurden und von den Mitgliedstaaten bis 2030 erfüllt werden sollen. Ergänzend zu den obligatorischen oder von den Kantonen empfohlenen Lehrmitteln stellt «Éducation 21» an den Lehrplänen ausgerichtete Materialien zur Verfügung.

Angst vor dem Untergang

Die Schulen befinden sich bei der Umsetzung von BNE in einem Spannungsfeld: Einerseits besteht die Gefahr, Schüler zu überfordern und Ängste zu schüren. Immerhin gaben 2021 in einer grossangelegten internationalen Umfrage 56 Prozent der befragten Jugendlichen an, die Menschheit sei «dem Untergang geweiht». Andererseits werden sich die Kinder von heute in einer vom Klimawandel veränderten Lebens- und Arbeitswelt zurechtfinden müssen. Wird der Klimawandel im Unterricht verharmlost, dann wird man dem Bildungsauftrag nicht gerecht. Wie aber sieht guter Unterricht über den Klimawandel aus?

Aus einem Unesco-Bericht vom Dezember 2021 geht hervor, dass in fast der Hälfte von 100 untersuchten Ländern der Klimawandel in den Lehrplänen keine Erwähnung fand. Für die Untersuchung wurden Lehrpläne aus unterschiedlichen Weltregionen nach Begriffen wie «Treibhausgase» oder «globale Erwärmung» durchforstet. Zudem hebt der Bericht hervor, dass in einer weltweiten Umfrage unter Lehrern 95 Prozent den Klimawandel für ein notwendiges Thema im Unterricht hielten, aber weniger als 40 Prozent sich ausreichend befähigt fühlten, darüber zu unterrichten.

Für Schweizer Lehrpersonen bietet «Éducation 21» eine schier unüberschaubare Fülle an Material an, eingeteilt in einzelne Themendossiers. Darunter ist durchaus solide recherchiertes Material, etwa Faktenblätter zum Klimawandel für Lehrer. Doch sobald es etwas komplexer wird, sind die Informationen veraltet: Für die Sekundarstufe 2 werden als Fachliteratur eine Übersichtsseite von 2007 (der Link führt ins Leere) sowie der Bericht des Weltklimarats von 2014 angegeben, obwohl dessen neuester Bericht Anfang 2023 veröffentlicht wurde.

Auffällig ist der tendenziöse Einschlag vieler Materialien. So wendet sich das Buch «In Zukunft hitzefrei?», das ebenfalls bereits für Drittklässler empfohlen wird, an die «letzte Generation, die den Klimawandel noch aufhalten kann», und warnt, bald gebe es «keinen Weg zurück» mehr – eine Tonalität, die an die Klimakleber der sogenannten Letzten Generation und ihr Schweizer Pendant Renovate Switzerland erinnert.

Der Klimawandel als Fortsetzung des Kolonialismus

Das Heft «Changemaker – Zeit, dass sich was dreht» der privaten Hilfsorganisation Care Deutschland behandelt laut «Éducation 21» die Klimakrise «positiv, kreativ und differenziert» und richtet sich an die Sekundarstufe 1. So regt etwa eine «66-Tage-Challenge» zu veganer Ernährung und dem Verzicht auf Online-Bestellungen und Plastik an. Zudem solle man die Heizung ein Grad kälter stellen. Im Kapitel zu Klimagerechtigkeit wird der Klimawandel als rassistisch geprägte, moderne Fortsetzung des Kolonialismus dargestellt. Ein Link führt zu einem Youtube-Video der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim aus dem Jahr 2019, in dem sie zur Teilnahme am globalen Klimastreik aufruft und auf eine Liste mit «Klimademos in eurer Nähe» verweist.

Einige der wissenschaftlichen Erklärungen im Heft sind grob falsch. Es wird etwa behauptet, mit «Kipppunkt» werde ein einzelner Punkt bezeichnet, ab dem die Erderwärmung unumkehrbar sei. Auch die Entstehung der Wärmestrahlung der Erde wird falsch erklärt.

Zudem wird in dem Heft darüber sinniert, warum sich in der Klimabewegung vor allem «weisse und privilegierte Menschen» engagierten: Einen klimaneutralen Lebensstil zu leben, sei eine «Geld- und Privilegienfrage», wird behauptet. Nicht jeder könne sich Bio-Produkte leisten. Dabei zeigen die Zahlen schon seit Jahren, dass die CO2-Bilanz von reicheren Menschen deutlich schlechter ausfällt als jene von ärmeren, selbst wenn sie klimabewusst konsumieren.

Kai Niebert, Professor für Didaktik der Naturwissenschaften an der Universität Zürich, kritisiert den Ansatz, auf das Konsumverhalten der Schüler abzuzielen: «Im Hinblick auf den Bildungsauftrag ist das eine Gratwanderung.» Denn der sogenannte Beutelsbacher Konsens, der als Reaktion auf den Nationalsozialismus in Deutschland beschlossen und später von der Schweiz übernommen wurde, legt fest, dass junge Menschen in Bildungseinrichtungen nicht zu Weltanschauungen gedrängt werden dürften.

Zudem zeigen empirische Untersuchungen laut Niebert, dass sich Verhaltensänderungen nicht in wenigen Stunden Unterricht erreichen lassen. Wichtiger sei es darum, die politische Partizipationsfähigkeit der Schüler zu stärken, indem sie Zusammenhänge verstehen lernten – «beispielsweise die Wirkungsweise klimaschädlicher Subventionen».

Für eine Studie hat Niebert weltweit Programme zur Klimabildung evaluiert. Das Ergebnis: Die Schüler wurden meist gedrängt, Energie zu sparen, Fahrrad zu fahren oder nicht mehr zu fliegen. «Die nachweislich wirksamen – politischen – Lösungen wie Verbote, Emissionsgrenzen oder auch CO2-Preise wurden in nahezu keinem Programm vermittelt», sagt Niebert.

Meditieren gegen den Konsum

In den Materialien von «Éducation 21» spielt das Thema Konsum ebenfalls eine zentrale Rolle. Besonders grenzüberschreitend klingen die Vorschläge in einem Anleitungsheft für Lehrer, das vom Forschungsprojekt «Binka – Bildung für nachhaltigen Konsum durch Achtsamkeitstraining» stammt und vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde.

Im Rahmen von gemeinsamen sogenannten Bedürfnismeditationen sollen die Schüler, angeleitet vom Lehrer, ihrem Körper und ihren Gefühlen nachspüren, etwa durch achtsames Essen einer Mandarine: «Schliesse langsam die Augen (. . .) Führe nun ein Stück der Frucht zum Mund und halte es einfach zwischen den Lippen . . . Spüre den Kontakt des Fruchtstücks auf deinen Lippen.» Dadurch sollen die Schüler die Mahlzeit noch mehr geniessen und schneller erkennen, wann sie genug zu essen hatten.

Für eine andere Übung sollen sie den Stoff ihrer Kleidung bewusst spüren und schliesslich ihre Emotionen untersuchen angesichts der «Anstrengungen und Mühen», die andere für die Produktion der Kleidung aufgebracht haben: «Vielleicht ein Gefühl der Dankbarkeit, des Mitgefühls oder auch andere weniger positive Gefühle wie Zorn oder Scham über die Bedingungen, unter denen einige Bauern und Fabrikarbeiterinnen seit Jahrhunderten und sicherlich auch gerade jetzt arbeiten müssen?»

Endlich Wachstum?

Selbst dort, wo man mit einem wirtschaftsfreundlicheren Ansatz rechnen würde, werden die Erwartungen enttäuscht. Unter den neuesten Einträgen des Katalogs findet sich die Website «Endlich Wachstum», die laut Beschreibung von «Éducation 21» Schüler dazu anregen soll, «Wirtschaft neu und nachhaltig zu denken».

Die Website selbst vermittelt einen anderen Eindruck: Dort wird etwa ein Spiel vorgeschlagen, bei dem Schüler mit Streichhölzern einen Wald nachstellen und dabei lernen sollen, dass eine «nachhaltige Bewirtschaftung unter Konkurrenzbedingungen schwierig» sei. Nach dem Spiel könne an die «Thematik der Solidarischen Ökonomie angeknüpft werden». Ein beigefügter Wikipedia-Link klärt darüber auf, dass es sich um ein Wirtschaftsmodell handelt, bei dem auf Geld als Zahlungsmittel verzichtet wird.

Ein anderes Spiel von «Endlich Wachstum» soll die Schüler darüber aufklären, dass «durch Wirtschaftswachstum sowohl Ressourcenverbrauch als auch negative Folgen steigen müssen und damit die Probleme verschärft werden». Angeboten wird auch ein Comic, der verdeutlichen soll, dass der Klimawandel nicht durch eine effizientere Nutzung von Ressourcen, sondern nur durch «veränderte Lebensstile» erreicht werden könne.

«Endlich Wachstum» wird nach eigenen Angaben vom deutschen Entwicklungshilfeministerium gefördert. Selbst dem Team von «Éducation 21» scheinen leise Zweifel gekommen zu sein: «Auf den ersten Blick mag das indoktrinierend erscheinen», schreiben sie in ihrem Online-Katalog über «Endlich Wachstum», doch werde auch das jetzige Wirtschaftssystem differenziert betrachtet «und die Lernenden erhalten so die Möglichkeit, selbst zu diesem Schluss zu kommen».

Qualitätskriterien für externe Akteure an Schulen

Die Direktorin von «Éducation 21», Klára Sokol, lässt gegenüber der NZZ keine Zweifel an der politischen Unabhängigkeit ihrer Materialien erkennen. Stattdessen weist sie auf die zentrale Rolle der Lehrer hin, die dafür sorgen müssten, Themen kontrovers zu behandeln. Angesprochen auf die Hefte von Greenpeace und Care, erklärt sie, diese würden den Schülern ermöglichen, sich mit den «Hintergründen und Motivationen» von Aktivisten auseinanderzusetzen. Lehrpersonen und Klassen würden angeregt, «aktiv zu werden», entsprechend den Uno-Nachhaltigkeitszielen. Informationen zu den Download-Zahlen der Materialien stellt die Stiftung nicht zur Verfügung, diese werden nur zur internen Verwendung erhoben.

Dass man im Unterricht mit ausserschulischen Akteuren aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zusammenarbeite, auch mit Unternehmen und Museen, sei eine pädagogische Bereicherung, sagt Sokol. Etwaige politische Haltungen müssten dabei als solche deklariert werden.

Ausserschulische Akteure müssen darum eine Selbstverpflichtung unterzeichnen, in der sie sich im Sinne des Beutelsbacher Konsenses zur Ablehnung von Indoktrinierung bekennen. Zudem werden alle Lehrmittel nach festgelegten Qualitätskriterien evaluiert, bevor sie in den Katalog von «Éducation 21» aufgenommen werden. Politische Indoktrinierung und Werbung müssen dabei ausgeschlossen werden.

Die Unesco gibt den agitativen Ton vor

Die Wurzel der politischen Färbung könnte allerdings bereits in den BNE-Zielen an sich liegen. In einer Roadmap beschrieb die Unesco 2021, wie sie sich deren Umsetzung in den Schulen vorstellt.

Demnach sollen Jugendliche «Agenten des Wandels» werden, um sich für eine «grosse Transformation» einzusetzen. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, mehrere Punkte umzusetzen – neben einer «ganzheitlichen Transformation von Lern- und Lehrumgebungen» und der «Kompetenzentwicklung von Lehrenden» auch die «Mobilisierung der Jugend».

Die Idee, Technologien könnten die meisten Nachhaltigkeitsprobleme lösen, wird als «Illusion» abgetan. Es sei ein «Balanceakt zwischen Wirtschaftswachstum und nachhaltiger Entwicklung erforderlich, wobei BNE Lernende ermutigen sollte, alternative Werte zur existierenden Konsumgesellschaft zu erforschen».

Ob eine solch einseitige Sichtweise dem Beutelsbacher Konsens gerecht wird, kann zumindest hinterfragt werden.

Pauline Voss, «Neue Zürcher Zeitung » (04.08.2023)

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Dieser Artikel behandelt folgende SDGs

Die Sustainable Development Goals (SDGs) sind 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung, vereinbart von den UN-Mitgliedsstaaten in der Agenda 2030. Sie decken Themen wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser, erneuerbare Energie, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Klimaschutz und den Schutz der Ozeane und der Biodiversität ab.

4 - Hochwertige Bildung
12 - Verantwortungvoller Konsum und Produktion
13 - Massnahmen zum Klimaschutz
17 - Partnerschaften zur Erreichung der Ziele

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