Ähnliche Probleme gibt es in anderen europäischen Ländern. Laut einer Analyse von Rystad Energy von Dienstag hat Spanien aufgrund der hohen Produktion von Erneuerbaren und des mangelnden Netzausbaus mittlerweile enorme Probleme, Schwankungen auszugleichen. Der geplante Atomausstieg wird das Problem nach Ansicht der Experten noch verstärken. In Portugal habe die «komplette Abhängigkeit von Importen die unzureichende Flexibilität und den Mangel an Speichermöglichkeiten noch einmal unterstrichen», heisst es in der Analyse. Noch dramatischer ist eine Analyse von Ember Energy. Sie kommt zu dem Schluss, dass in 11 von 25 europäischen Staaten die Ausbaupläne für Stromnetze nicht übereinstimmen mit den Zielen für den Ausbau der Wind- und Sonnenkraft.
Wenn nun all diese Länder so wie Deutschland immer schneller konventionelle Kraftwerke abschalten wollen, gibt es ein Problem. Denn dann müssen auch sie in Überschusszeiten zunehmend Strom exportieren und in Mangellagen importieren. In einem solchen Szenario ist für Saurugg die Katastrophe vorprogrammiert. «Wenn ich die Vernetzung immer weiter steigere, ohne entsprechende Sicherheiten zu schaffen, dann ist in der Systemwissenschaft klar, was passiert: Langfristig führt das zum Zusammenbruch», sagt er.
Das könnte sich dann auch auf die Schweiz auswirken. Käme es in Deutschland und den Nachbarländern zu grossflächigen Ausfällen, könnten auch die Eidgenossen unter Schwankungen leiden. Die müssten sie dann ausgleichen. Aber die Schweiz ist dank ihren Bergen besser auf solche Schocks vorbereitet. Ihre Pumpspeicherkraftwerke können in solchen Fällen gegensteuern.
Auch Cyberangriffe sind ein wachsendes Problem
Doch nicht nur der einseitige Ausbau der Erneuerbaren stellt eine Gefahr dar, sondern auch Cyberangriffe. Eurelectric, der europäische Dachverband der Strombranche, warnte erst im Februar davor, dass die europäische Energieinfrastruktur zunehmend durch Cyberangriffe gefährdet sei.
Allein zwischen 2020 und 2022 habe sich die Zahl solcher Angriffe verdoppelt, befand eine Studie aus dem Jahr 2022, die von dänischen Energieunternehmen in Auftrag gegeben worden war. Im Jahr 2015 wurde der erste Angriff auf ein europäisches Energieunternehmen in der Ukraine durchgeführt. Seither «gab es jedes Jahr erfolgreiche Cyberangriffe auf ein europäisches Energie- oder Versorgungsunternehmen».
Die Hacker hätten unter anderem die Fernsteuerung von Windparks deaktiviert und Prepaid-Zähler ausser Betrieb gesetzt. Auch mit einer solchen Attacke kann man Stromausfälle verursachen. Die Gefahr nimmt zu, je stärker die Vernetzung zunimmt.
Christian Dörr vom Hasso-Plattner-Institut nennt ein Beispiel aus Deutschland: Der Verteilnetzbetreiber kann durch das Solarspitzengesetz auf Solarpanels in Haushalten zugreifen und sie notfalls vom Netz abklemmen. Das sei zwar sinnvoll, um Überlastungen zu vermeiden, sei aber auch ein Einfallstor für Cyberangriffe. Es müsse nur ein einzelner Hacker in die Systeme des Netzbetreibers eindringen – und schon könne er enorme Schwankungen verursachen. Dazu kommt: Viele Daten lagern auf chinesischen Servern. Darüber werde viel zu wenig gesprochen, sagt Dörr.
Die Angriffsfläche ist gross
Mit der Energiewende nimmt auch die Anfälligkeit für Cyberattacken zu. Der Strom kommt aus allen Richtungen, Elektrizität fliesst nicht mehr nur wie auf einer Einbahnstrasse von einzelnen Kraftwerken über Trassen zu den Verbrauchern, sondern von überall durch das ganze Land. Er kommt aus zig Tausenden von Solarpanels auf dem Dach, von Windturbinen auf dem Land oder auf See.
Das stellt die Netzbetreiber und Energieunternehmen vor neue Herausforderungen. Sie koordinieren die Stromflüsse zunehmend mithilfe digitaler Technologien und Steuerungssysteme, künstlicher Intelligenz und von Datenanalysen in Echtzeit. So gewährleisten sie die Netzstabilität. Im Zuge dieser Entwicklung nehme aber auch die Grösse der Angriffsfläche zu, also der «potenziellen Zugangspunkte für feindliche Akteure», sagt Eurelectric.
Die Angriffsfläche für Cyberkriminelle ist mittlerweile gross, sei es über Smart Meter, Sensoren oder automatisierte Kontrollsysteme. Hinzu kommen Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Solaranlagen, die ans Netz angeschlossen werden. Die Geräte machen das System noch einmal komplexer und potenziell leichter angreifbar.
Energieunternehmen warnen seit Jahren vor steigenden Risiken, inzwischen wappnen sie sich auch dagegen. Das Schweizer Stromunternehmen Axpo eröffnete beispielsweise im Dezember eine neue Leitstelle mit dem Ziel, Angriffe auf die Stromversorgung und weitere kritische Dienstleistungen abzuwehren.
Dort halten Experten nun nach Angriffen auf Maschinen, Stromnetze oder Verkehrsinfrastruktur Ausschau. Im Ernstfall greifen sie ein.
Es braucht grundlastfähige Kraftwerke
Was also tun, um Stromausfälle in Zukunft zu vermeiden? Der Krisenexperte Saurugg fordert eine realistischere Energiewende unter Einschluss aller Technologien, auch der Atomkraft. Bei 70 Prozent Erneuerbaren im System sollte aus seiner Sicht Schluss sein. Den Rest könne man beispielsweise mit neuen Kleinreaktoren abdecken, sogenannten Small Modular Reactors, oder mit fossilen Kraftwerken, deren Treibhausgase im Boden verpresst werden.
Solche Kraftwerke minderten die Kosten des Netzausbaus und der Speicher. Wie wertvoll grundlastfähige Kraftwerke waren, sah man auch beim jetzigen Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel. Die französischen Atomkraftwerke spielten beim Neustart des spanischen Energiesystems eine entscheidende Rolle.
Vor allem aber plädiert Saurugg dafür, das Stromnetz zu dezentralisieren. Es sollten kleine Einheiten mit einem Durchmesser von bis zu sechzig Kilometern entstehen, die sich autark versorgen können. Das erhöhe die Resilienz.
Auch bei der Cybersicherheit muss sich einiges tun. Laut der Internationalen Energieagentur geht es nun vor allem darum, die notwendigen Abwehrfähigkeiten zu entwickeln, Experten innerhalb der betroffenen Unternehmen auszubilden, Investitionen in Sicherheitsvorkehrungen zu tätigen und den Informationsaustausch mit anderen Unternehmen zu stärken. Sonst lassen sich Angriffe in Zukunft womöglich nicht mehr so leicht abwehren. Die Folgen, das sehen nun alle, können dramatisch sein.