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Künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz

Bild: Getty Images

Chat-GPT wächst so schnell wie keine Anwendung zuvor. Verschwinden bald die Bürojobs?

Expertinnen und Experten sind sich einig: KI-Anwendungen wie Chat-GPT werden die Arbeitswelt revolutionieren. Die Frage ist nur: Wie?

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Mensch und Maschine führen eine komplizierte Beziehung. Seit der Mensch die Maschine erfunden hat, fragt er sich voller Panik: Bin ich austauschbar? Und jedes Mal, wenn eine neue Maschine massentauglich wurde, sei es die Druckerpresse, der Traktor oder das Internet, passierte dasselbe: Die Maschine veränderte die Arbeitsbedingungen der Menschen, liess Arbeitsstellen verschwinden und andere entstehen. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war das immer schwer. Doch sie passten sich an.

Dann kam 2022, das Jahr, in dem plötzlich alle von künstlicher Intelligenz sprachen. Im November wurde der Chatbot Chat-GPT, ein sogenanntes «Large-Language-Model», über Nacht zur Sensation, Tausende Menschen probierten die Software aus, und wiederum fragten sie: Bin ich jetzt austauschbar?

Und so sind in den vergangenen Monaten zahlreiche Studien publiziert worden, welche den Einfluss von KI auf dem Arbeitsmarkt analysieren. Mit teilweise unheimlichen Resultaten. Laut einer Studie von Goldman Sachs etwa soll KI in wenigen Jahren 300 Millionen Vollzeitarbeitsplätze weltweit ersetzen. Rund zwei Drittel aller Stellen seien einem bestimmten Grad der Automatisierung durch eine künstliche Intelligenz ausgesetzt. Open AI, das Unternehmen hinter Chat-GPT, hat gemeinsam mit der Universität Pennsylvania eine Studie veröffentlicht und kam gar zum Schluss, 80 Prozent aller Stellen seien auf die eine oder andere Weise von der Einführung von Chat-GPT betroffen.

KI weckt Ängste vor einem Kontrollverlust

Zeitgleich mit dem Hype um Chat-GPT wuchs darum auch die Angst vor der neuen Technologie. In einem offenen Brief haben Ende März Wissenschafter, Techunternehmerinnen und weitere, bekannte Persönlichkeiten gefordert, die Entwicklung von KI für einige Monate zu stoppen. KI berge grosse Gefahren. Unternehmen und die Politik müssten zuerst Regeln für den Umgang mit KI finden, bevor man weiterforschen könne. Ausschüsse des EU-Parlaments haben diese Woche die weltweit ersten Regeln für Chat-GPT vorgelegt.

Einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fürchten indes, Chat-GPT könnte ihren Job obsolet machen. Die Psychologin Marisa Tschopp, die sich auf die psychische Wirkung von künstlicher Intelligenz spezialisiert hat, sagt dazu: «Wir fürchten uns vor einem Kontrollverlust.» Das sei eine durchaus berechtigte Angst. Gleichzeitig habe diese Angst aber auch mit der Art und Weise zu tun, wie wir in der Öffentlichkeit über KI sprächen. «Wir personifizieren die KI und sagen, sie klaue uns die Jobs.» Das löse eine Art Vermenschlichung der Maschine aus und führe dazu, dass wir nicht mehr wüssten: Was können wir eigentlich? Und was kann die Maschine?

Dabei ist künstliche Intelligenz per se nichts Neues: Viele digitale Produkte funktionieren mit KI, so beispielsweise der Spam-Filter in unserer Mailbox oder die Sprachassistentin Siri auf dem Smartphone. Und im Bereich der Automatisierung von Arbeits- und Produktionsprozessen beeinflusst KI den Arbeitsmarkt seit Jahrzehnten. Bereits in den 1950er Jahren erforschten Wissenschafterinnen und Wissenschafter, wie man Maschinen beibringt, Dinge zu lernen.

Thilo Stadelmann, der das Center for Artificial Intelligence an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) leitet, sagt: «Auch Systeme wie Chat-GPT sind technisch nicht neu.» Anders als vorgängige Technologien seien sie aber in nahezu allen Bereichen einsetzbar. «Die IT-Professorin, der Journalist, die Studentin – alle können Chat-GPT verwenden und machen die Erfahrung: Das hilft.»

Routinetätigkeiten sind schon lange nicht mehr gefragt

In den vergangenen Jahren haben digitale Technologien und die Automatisierung vor allem Routinetätigkeiten ersetzt – Aufgaben, welche nach klaren Vorschriften ausgeführt werden können. Die Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, Aargau, Zug und Zürich (Amosa) zeigt in einer Studie auf, wie viele Jobs zwischen 2010 und 2020 in Produktionsbetrieben verschwunden sind, Arbeiten im Lager oder beim Sortieren von Waren zum Beispiel. Die Beschäftigung bei solch handwerklichen Routinetätigkeiten ging laut Amosa-Studie in diesem Zeitraum um 20 Prozent zurück. Jede fünfte Stelle ist also weggefallen.

Christian Gschwendt forscht an der Universität Bern zur Frage, wie die Digitalisierung die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft verändert hat. Er sagt: «Im Zeitraum von 1992 bis 2021 sind insbesondere auch kognitive Routinetätigkeiten stark zurückgegangen.» In diesen Positionen arbeiteten mehrheitlich Frauen, etwa als Sekretärinnen. Im Büro haben die Anforderungen an den Job in den letzten dreissig Jahren zugenommen. Es sind Leute gefragt, die Probleme analysieren und Entscheidungen treffen. Generell kann man sagen: Mit der Digitalisierung ist die Nachfrage nach Arbeitskräften mit höherer Bildung gestiegen.

Das zeigen auch die Daten der Amosa-Studie: Nichtroutine-Tätigkeiten, die eine hohe kognitive Leistung erfordern, haben im untersuchten Zeitraum an Bedeutung gewonnen. Die Beschäftigung wuchs zwischen 2010 und 2020 um mehr als 30 Prozent. Das Schweizer Bildungssystem hat darauf reagiert. Christian Gschwendt sagt: «Gerade die Berufsbildung orientiert sich stark daran, welche Fähigkeiten von angehenden Arbeitskräften verlangt werden.» Während die Zahl der Arbeitsplätze bei Jobs mit hoher Automatisierung sank, seien mit den Fachhochschulen neue Möglichkeiten zur Weiterbildung geschaffen worden.

Jetzt trifft es den Vertrieb, das Marketing, den Detailhandel

Menschen mit höherer Bildung hätten am Arbeitsplatz bisher von neuen Technologien profitieren können, sagt Gschwendt. Mit dem PC beispielsweise konnten sie die Produktivität massiv steigern. Doch Systeme wie Chat-GPT dürften in Zukunft einige ihrer Tätigkeiten übernehmen können. Die Studie der Arbeitsmarktbeobachtung Amosa hat nun vier Berufsfelder identifiziert, die in der Schweiz künftig stark von der KI-Disruption betroffen sein dürften. Neben der industriellen Produktion sind das Berufe im Marketing und Vertrieb, im Detailhandel und im kaufmännischen Bereich. Also: Bürojobs. Auch jene mit höheren Anforderungen.

Ein aktuelles Beispiel dafür liefert IBM. In einem Interview mit Bloomberg sagte der IBM-Chef Arvind Krishna letzte Woche, er rechne damit, dass in bestimmten Verwaltungsbereichen zahlreiche Stellen nicht mehr ersetzt werden müssten. In der Personalverwaltung etwa sollten KI-Technologien innerhalb von fünf Jahren ein Drittel der Stellen übernehmen können.

Auch das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat kürzlich eine Studie zur Zukunft der Arbeitsplätze publiziert. Laut der Studie zählt KI zu den Faktoren, welche den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren am stärksten verändern. Vor allem Kommunikations- und Koordinationsaufgaben werden künftig von Maschinen übernommen. Und auch diese Studie sagt: Büro- und Sekretariatsstellen, Stellen in der Buchhaltung oder in der Verwaltung werden immer mehr verschwinden.

KI macht uns effizienter

Thilo Stadelmann von der ZHAW sieht das gelassen. Er ist überzeugt, dass uns auch im Büro die Arbeit nicht ausgehen wird. Er sagt: «Künstliche Intelligenz wird uns helfen, effizienter zu arbeiten.» Büroangestellte werden mühsame Arbeiten schneller erledigen können und somit Zeit haben für andere, anspruchsvollere Aufgaben. Die Voraussetzung dabei: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen bereit sein, dazuzulernen.

Stadelmann kann sich vorstellen, dass gerade in Büros Angestellte in wenigen Jahren eine Art «Virtual Assistant» haben. Juristinnen und Juristen zum Beispiel verwenden heute schon Systeme, die innert Sekunden ganze Datenbanken durchsuchen, um Gesetzesartikel oder Buchkapitel zu finden. Das erleichtert die Recherchearbeit und führt dazu, dass bei Gerichtsfällen etwa mehr Zeit für die Entwicklung kreativer Strategien bleibt.

Ausserdem sind neue Jobs entstanden. Wer auf Linkedin unterwegs ist, weiss, dass in den letzten Wochen Dutzende Startups verkündet haben, künftig auf KI-Technologien zu setzen. Und in den USA werden überall sogenannte «Prompt Engineers» gesucht. Eine Art KI-Versteher, die genau wissen, welche Anweisungen bei Chat-GPT zu welchen Ergebnissen führen. Denn um mit KI tatsächlich effizienter arbeiten zu können, braucht es Menschen, die wissen, wie KI funktioniert.

Thilo Stadelmann von der ZHAW sieht die Entwicklung der KI-Technologien vorwiegend als Chance. Wenn ein KI-System in der Pflege für das Schreiben von Reports eingesetzt werden kann, macht das diesen Job wieder etwas attraktiver. «Vielleicht können wir mit KI die Jobs von dem befreien, was sie mühsam macht», sagt er.

Expertinnen und Experten sagen jedoch alle: Letztlich lässt sich nur schwer voraussagen, wie Chat-GPT und Co. die Wirtschaft tatsächlich verändern werden. Denn derart neue Technologien sorgen am Markt für Disruption. Und momentan wissen nur jene Unternehmen, welche selbst künstliche Intelligenz entwickeln, wie es weitergeht.

Elena Oberholzer, «Neue Zürcher Zeitung» (13.05.2023)

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