Auf dem Feld tut sich eines Tages ein Loch auf. Und dann noch eins. Und noch eins. Mit bis zu 25 Metern Durchmesser – und bis zu 45 Metern Tiefe.
Die Einwohner der Provinz Konya in der Türkei kennen Senklöcher im Boden, sie gehören zur Landschaft dazu. Doch seit einiger Zeit werden es immer mehr. Ungefähr 700 dieser Trichter sind seit 1970 im Konya-Becken entstanden, oft auf Feldern, manchmal direkt neben einem Dorf. Menschen kamen noch nicht zu Schaden, aber die Infrastruktur hat immer wieder gelitten – zum Beispiel wurden Strassen und einzelne Gebäude beschädigt.
Geologen nennen diese Senklöcher auch Dolinen. Dass sie sich häuften, liege am Menschen, sagen Forscher. Landwirte hätten in der Region zunehmend Grundwasser abgepumpt, um ihre Felder zu bewässern.
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben die Fachleute im Detail verstanden, wie dadurch zahlreiche Löcher im Boden entstanden – und wo genau dies passierte. Mithilfe moderner Satelliten- und Drohnenaufnahmen kann man die Menschen immer besser warnen, wenn sich in einer Region die Entstehung neuer Löcher anbahnt.
Mit der Landwirtschaft schwindet das Grundwasser
Um besser zu verstehen, was in der Provinz Konya vor sich geht, muss man 20 000 Jahre zurückgehen. Damals habe es im Konya-Becken noch einen grossen, 20 Meter tiefen See gegeben, sagt der Geograf Muhammed Zeynel Öztürk von der Nigde-Ömer-Halisdemir-Universität in Zentralanatolien. In diesem Seebecken hätten sich im Laufe der Jahrtausende Sedimente abgelagert.
Unter den Sedimenten besteht der Untergrund des Konya-Beckens aus Gesteinen, die für Karstlandschaften typisch sind – aus Kalk und Gips. Wasser kann wegen der Empfindlichkeit dieser Gesteine leicht Höhlen formen.
Heute zählt die Region zu den trockensten in der Türkei. Doch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts musste man nicht tief graben, um Grundwasser zu finden. Es befand sich ganz nahe an der Oberfläche. Aber in den letzten fünfzig Jahren, so Öztürk, begannen die Landwirte, Grundwasser intensiv zur Bewässerung zu nutzen.
Mais, Zuckerrüben und Luzernen – eine Futterpflanze – brauchen viel Wasser. Es gibt inzwischen mehr als 130 000 Brunnen, viele sind illegal. Dadurch sank das Grundwasserniveau immer weiter. Heute müsse man 200 bis 300 Meter tief bohren, um auf Grundwasser zu stossen, sagt der Forscher.
Durch das Abpumpen leerten sich die unterirdischen Höhlen im Karstgestein. Das machte sie instabil. Die Decke aus darüberliegendem Gestein stürzte ein – Schicht für Schicht. Die Höhlen wurden immer grösser, bis sie schliesslich die Oberfläche erreichten und sich Löcher im Boden auftaten. Diese Einstürze sind abrupt, gefährlich und schwer vorherzusagen.
Besonders labil ist der Untergrund nahe den Bruchflächen
Doch die Löcher öffnen sich nicht beliebig überall, sondern an ganz bestimmten Orten. Öztürk erklärt, dass dies mit Verwerfungen und Brüchen unter den Sedimenten zusammenhänge. Diese erleichterten die Bewegung des Grundwassers und beschleunigten die Auflösung des Gesteins.
Besonders instabil wurde der Untergrund also vor allem an Stellen, wo beides zusammenkam: Dort, wo übermässig viel Grundwasser abgepumpt wurde und gleichzeitig tektonische Verwerfungen und Bruchzonen unter der Oberfläche schlummerten, bildeten sich neue Dolinen.
In vielen Medienberichten heisst es, die Häufung der Dolinen liege in erster Linie am Klimawandel, doch diese Behauptung trifft nicht zu. Die Hauptursache ist das übermässige Abpumpen von Grundwasser. Weil Seesedimente in Ackerland umgewandelt wurden und die Bevölkerung stark zunahm, stieg der Wasserbedarf enorm an.
Der Klimawandel trägt aber zusätzlich dazu bei. In Anatolien treten wegen der Erderwärmung immer stärkere Dürren auf, was den Wasserbedarf noch erhöht. Das beschleunige den Grundwasserschwund, sagt Öztürk, und begünstige indirekt die Bildung von Dolinen.
Die Fähigkeit der Wissenschaft, vor dem Entstehen der Karsttrichter zu warnen, ist beschränkt. «Im Vorhinein zu sagen, an dem und dem Tag wird eine Doline entstehen – das ist bis jetzt nicht möglich», sagt Djamil Al-Halbouni, Geophysiker an der Universität Leipzig. Doch die Überflüge von Satelliten und Drohnen können immerhin helfen, die Gefahr besser einzuschätzen.
Einen Beitrag dazu leisten zum Beispiel Radaraufnahmen von Satelliten. Bevor die grossen Löcher entstünden, senke sich die Oberfläche oft kleinräumig ab, sagt Al-Halbouni. Bildet sich zum Beispiel im Untergrund eine Höhle, dann stürzt die Gesteinsdecke darüber in der Regel nicht sofort ein, sondern gibt zunächst einmal leicht nach. Dieses Absinken könne man mit einer speziellen Radarmethode gut erkennen, erklärt der Leipziger Forscher.
Neben Satelliten dienen auch Drohnen zur Überwachung
Auch Drohnen können weiterhelfen. «Die haben eine viel höhere räumliche Auflösung als Satellitenbilder», sagt Al-Halbouni. Manchmal bildeten sich Risse in der Erdoberfläche, die Satelliten nicht sehen könnten, Drohnen aber sehr wohl.
Es gebe etliche Studien, die auf neue Risikozonen aufmerksam machten, sagt der Geophysiker. Letztlich liege die Verantwortung aber bei türkischen Beamten und Politikern. Sie müssten anhand der wissenschaftlichen Informationen entscheiden, welche Regionen gewarnt werden sollten. Das kann dann auch bedeuten, dass Strassen und ganze Areale komplett abgesperrt werden.
Die wichtigste Massnahme zur Senkung des Risikos bestünde allerdings darin, weniger Grundwasser abzupumpen. Dann könnte sich der Untergrund wieder ein wenig stabilisieren – und die Neubildung von Dolinen würde zurückgehen. Die staatliche Wasserbehörde versucht derzeit im Konya-Becken in mehreren Studien, illegale Brunnen aufzudecken und den regionalen Grundwasserverbrauch abzuschätzen. Das Ziel ist, in Zukunft die übermässige Nutzung von Grundwasser einzudämmen.
Im zentralen Bereich des Konya-Beckens gehe das Abpumpen allerdings in gleichem Masse weiter wie in den vergangenen Jahren, teilt der Vermessungsingenieur Osman Orhan von der Universität Mersin mit. Die Erdoberfläche senke sich dort an manchen Stellen um sieben bis acht Zentimeter pro Jahr ab.
Das Problem mit den Karsttrichtern in der Region Konya gleicht dem Kanarienvogel in der Kohlemine. Es zeigt besonders deutlich und früh, was im ganzen Land im Argen liegt: In weiten Teilen der Türkei hat der Wassermangel in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zugenommen. Viele Seen sind ausgetrocknet.
Ein vorsichtigerer Umgang mit Wasser wäre im Konya-Becken dringend angesagt. Die Methoden zur Bewässerung müssten zum Beispiel modernisiert werden, um Wasser zu sparen; ausserdem braucht es Anbaumethoden, die an Trockenheit angepasst sind. Solange die sorglose Praxis weitergeht, wird sich an dem Problem mit den neuen Dolinen kaum etwas ändern.