
Bild: Scott Rodgerson
Regenerative Wirtschaft: Geht «Netto-Null» weit genug?
Sind Netto-Null-Ziele ausreichend, oder benötigen wir nicht nur nachhaltige, sondern vor allem regenerative Lösungen? Das Konzept der «regenerativen Wirtschaft» wirft Fragen auf. Ebenso, welche Überlegungen Unternehmen für ihr Geschäftsmodell in Betracht ziehen.
- Sustainable Switzerland Editorial Team
Das dominierende Wirtschaftsmodell der letzten Jahrzehnte wurde von einem zentralen Leitmotiv geprägt: dem Streben nach Wachstum. In allen Lebensbereichen, sei es in der Wirtschaft, der Kommunikation oder dem Verkehr, hat die Gesellschaft erhebliche Fortschritte gemacht. Doch das Streben nach Wirtschaftswachstum stösst an seine Grenzen. Wir verbrauchen mehr, als unser Planet verkraften kann. Als Ergebnis sehen wir uns mit vielfältigen Krisen konfrontiert, darunter Ressourcenknappheit, Biodiversitätsverlust, soziale Ungleichheiten und der Klimawandel.
Das Paradox des Wirtschaftswachstums
Das Streben nach Wachstum bringt uns in allen Lebensbereichen an die Grenzen des Planeten und darüber hinaus. Es stellt sich die Frage: Hindert ein auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem letztendlich seinen eigenen Erfolg? Ressourcenknappheit verändert die Bedürfnisse der Stakeholder, und die Klimakrise bedroht materielle Werte. Unternehmen müssen sich an diese Entwicklung anpassen und nachhaltige Verfahren einführen, um zukunftsfähig zu bleiben. Das Konzept der regenerativen Wirtschaft revolutioniert das unternehmerische Handeln, um Lösungsansätze für eine nachhaltige Gesellschaft zu bieten.
Eine Neudefinition von Nachhaltigkeit
Im Bereich der unternehmerischen Nachhaltigkeit hat sich in der Vergangenheit viel getan: Es gibt unzählige nachhaltige Produkte und Dienstleistungen, und immer mehr Unternehmen erstellen Nachhaltigkeitsberichte. Dennoch können wir heute noch nicht von einem Gleichgewicht zwischen Unternehmensaktivitäten und dem Zustand von Umwelt und Klima sprechen. Viele Unternehmen konzentrieren sich darauf, ihr Geschäftsmodell so anzupassen, dass es «weniger schädlich» für den Planeten ist. Der alleinige Fokus auf CSR-Strategien, wie die Reduzierung des CO2-Ausstosses, reicht jedoch nicht aus, um den Zustand unseres Planeten entscheidend zu verbessern. Ist es also an der Zeit, unser Nachhaltigkeitsverständnis grundlegend zu überdenken?
Nachhaltigkeit oder «Sustainability» leitet sich vom englischen Begriff «sustain» ab, was «aufrechterhalten» bedeutet. Das Konzept der regenerativen Wirtschaft geht jedoch einen Schritt weiter: In einem Wirtschaftssystem, das lernen muss, mit Ressourcenknappheit umzugehen, ist das blosse Aufrechterhalten des Status quo unzureichend. Die regenerative Wirtschaft zielt darauf ab, nicht nur zu bewahren, sondern auch zurückzugeben. Ihr Ziel ist es, positive Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft zu erzielen.
Das Prinzip der regenerativen Wirtschaft
Das Weltwirtschaftsforum definiert die regenerative Wirtschaft als «Systemdenken, um sowohl das Humankapital als auch die natürlichen Ressourcen zu schützen, wiederherzustellen und aufzufüllen.» Unternehmen, die nach einem regenerativen Geschäftsmodell handeln, orientieren sich dabei an einigen einfachen Prinzipien:
- Mehr geben, als nehmen.
- Regenerative Unternehmen streben danach, positiven Wert oder Impact zu schaffen, anstatt negative Auswirkungen zu reduzieren. Dieser Wert kann unterschiedlich definiert sein und sich beispielsweise auf die Wiederherstellung der Biodiversität, die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre oder die Reduzierung von Schadstoffen beziehen. Auch soziale Faktoren und Mehrwert für Stakeholder, Lieferanten und Mitarbeiter werden berücksichtigt.
- Ganzheitliches Denken: Die regenerative Wirtschaft betrachtet nicht nur ökonomische, sondern auch ökologische und soziale Ziele.
- Regenerative Unternehmen konzentrieren sich auf das grössere System, in dem sie tätig sind (Umwelt, Gesellschaft, Stakeholder usw.), und nicht nur auf die direkten Auswirkungen des Unternehmens.

Im Geist der regenerativen Wirtschaft leistet ein Produkt nicht nur am Ende der Wertschöpfungskette bei den Kunden einen Nutzen.
Quelle: Getty Images
Paradigmenwechsel mit Chancen
Die Herausforderung, eine neue Denkweise des wirtschaftlichen Handelns zu etablieren, ist enorm. Doch sie birgt auch Chancen. Während ESG-Themen in der Vergangenheit fast als Hindernis für erfolgreiches Wirtschaftswachstum betrachtet wurden, werden sie heute als Treiber angesehen. Die Vorteile nachhaltiger und regenerativer Geschäftsmodelle reichen von Kostensenkungen und Umsatzsteigerungen bis hin zur Gewinnung neuer Talente. Regenerative Lösungen, die der Gesellschaft und der Umwelt etwas zurückgeben, können zudem kreative Innovationen hervorbringen.
Letztendlich ist jedoch das Risikomanagement der entscheidende Faktor, der für die regenerative Wirtschaft spricht. Unternehmen sind zwangsläufig von globalen Lieferketten abhängig. Werden diese durch Klimakatastrophen, soziale Missstände, Biodiversitätsverlust oder andere Krisen unterbrochen, entsteht ein grundlegendes wirtschaftliches Risiko. Allein durch Wirtschaftswachstum, das auf der Ausbeutung des Planeten beruht, können Unternehmen nicht zukunftsfähig sein.
Wie also können Unternehmen in diesem anspruchsvollen Umfeld Chancen nutzen?
Regenerative Geschäftsmodelle in der Praxis
Bei der Umsetzung von regenerativen Lösungen in der Praxis helfen einfache Fragen, die Unternehmer und Nachhaltigkeitsverantwortliche stellen können:
- Welchen Wert schaffen wir für unsere Umwelt (Gesellschaft, Klima, Umwelt, Mitarbeiter, Stakeholder usw.)?
- Wo und wie schaffen wir diesen Wert?
- Wie tragen wir dazu bei, unseren Planeten zu verbessern?
- Wie tragen wir aktiv zur Wieder herstellung des Planeten bei?
- Welchen Mehrwert schaffen wir für die heutigen und zukünftigen Generationen?
- Wem oder was soll unser Unternehmen nützen?
Zuallererst ist es sinnvoll, die gesamte Wertschöpfungskette von Anfang bis Ende zu betrachten. An welchen Stellen schaffen Produkte und Dienstleistungen einen Mehrwert? Wer profitiert davon? Im Geist der regenerativen Wirtschaft leistet ein Produkt nicht nur am Ende der Wertschöpfungskette bei den Kunden einen Nutzen. Auch Mitarbeiter, Lieferanten, Produzenten und andere Stakeholder müssen berücksichtigt werden. Die regenerative Wirtschaft erweitert die Grenzen des eigenen Geschäftsmodells.
Einige Unternehmen widmen sich bereits heute regenerativen Lösungsansätzen. Die Suchmaschine Ecosia, deren gesamtes Geschäftsmodell auf Regeneration ausgerichtet ist, ist hier ein anschauliches Beispiel. Das Unternehmen verwendet seine Einnahmen (z. B. aus Werbeanzeigen) zur Finanzierung von Aufforstungsprojekten. Neben weiteren grossen Playern wie Patagonia, Einhorn und Co. finden sich auch kleine und mittelständische Unternehmen wie der Schuhhersteller Wildling, der bereits in seinem Slogan für die regenerative Wirtschaft wirbt. Wildling hinterfragt jeden Punkt in der Lieferkette und sucht nach nachhaltigen Alternativen für Baumwolle. Das Unternehmen fördert die Verwendung von Hanf als nachhaltige Stoffalternative und versucht, diese gemeinsam mit anderen Partnern auf dem europäischen Markt zu etablieren. Statt eines Top-Down-Modells sucht Wildling den Austausch mit allen Stakeholdern der Lieferkette, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und Transparenz zu schaffen.
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